Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ryan – Akt 2, Szene 6 --------------------- 9 Jahre vor Team Shadows Gründung Ryan schluckte. Maike war kein offizielles Mitglied von Team Aqua, arbeitete jedoch bekanntermaßen sehr eng mit ihnen zusammen und war bei vielen Einsätzen mit von der Partie. Warum war sie hier? Maike tätschelte dem Schwalboss das rote Brustgefieder und rief ihr Pokémon zurück. Ryan wollte gerade das Risiko eingehen, zum Grabstein einige Meter weiter vorne zu laufen, um sie besser sehen zu können, da erhob sich eine Gestalt aus dem Schatten des Podests und kam mit verschränkten Armen auf Maike zu. „Reichlich spät“, sagte er ernst, grinste jedoch im nächsten Moment und hielt der jungen Frau seine Hand hin. Sie ergriff seinen Unterarm. „Adrian. Es tut gut, dich wiederzusehen.“ „Danke, dass du dir die Zeit genommen hast“, sagte der Anführer von Team Aqua und lehnte sich an das Podest. „Ich weiß, dass du derzeit viel zu tun hast. Drei Herausforderer in einem Monat sind nicht ohne.“ Maike ließ sich neben ihm in der Hocke niedersinken und legte den Kopf in den Nacken, um ihren Gesprächspartner ansehen zu können. „So leicht kommen diese Jungsporne nicht an mir vorbei“, sagte sie lachend. Ryan runzelte die Stirn. War sie nicht erst siebzehn gewesen, als sie letztes Jahr gegen Troy gewann? „Aber warum wolltest du dich hier treffen?“ Er sah sich vielsagend um. „Ich wollte vermeiden, dass du inkognito anreisen musst. Dieser Ort ist so isoliert wie möglich. Außerdem erinnert er mich an den Grund für die Katastrophe vor einem halben Jahr und an die Wichtigkeit unserer Mission.“ „Geht es um die verstreuten Magmas?“, fragte Maike. Er nickte. „Wir dachten nicht, dass sie große Probleme bereiten würden, aber obwohl wir seit Monaten hinter ihnen her sind, schaffen wir es nicht, die letzten Mitglieder einzufangen. Erst vor kurzem ist meinen Leuten ein junges Mädchen entwischt, als sie von irgendeinem Jungen befreit wurde. Wir können nur vermuten, dass Magma im Verborgenen seine Rekrutierung wieder aufgenommen hat und versuchen wird, Hoenn erneut in eine Dürre zu stürzen. Ich denke darüber nach, hier oben Wachen zu postieren, um die Kugeln zu beschützen. Wir können nicht riskieren, dass es wieder so weit kommt und Groudon erwacht. Antonias Großeltern sind gute Leute, aber sie sind einem Angriff durch Team Magma nicht gewachsen.“ Ryans Herz raste, als er dem Gespräch folgte. Nicht nur schaltete Adrian jetzt sogar Maike ein, um Corinna zu fangen, sie glaubten dank seiner Befreiungsaktion auch, dass Magma wieder rekrutierte und eine Bedrohung für ganz Hoenn darstellte. Bald würden sie nirgends mehr sicher sein. „Wer ist dieses Mädchen, das euch entkommen ist?“, fragte Maike. „Jemand, den ich kenne?“ „Nicht dass ich wüsste“, sagte Adrian. „Sie hat sich seit Magmas Auflösung in den Wäldern auf Route 121 versteckt. Einige ihrer Mitstreiter haben wir aufgabeln können, aber nicht sie. Das ist ein Steckbrief, den wir von ihr haben machen lassen. Erwin hatte sie kurzzeitig in Gefangenschaft, deshalb wissen wir, wie sie aussieht. Hier.“ Er reichte ihr eins der verfluchten Plakate. Maike nahm es stirnrunzelnd entgegen. „Sie sieht jung aus.“ „Eine der jüngsten. Soweit wir herausfinden konnten, ist sie Team Magma erst kurz vor ihrem Coup beigetreten und war daher nicht an den Missionen beteiligt. Aber sie ist flink wie ein Wiesenior. Ich weiß nicht, was sie in den Wäldern plant, aber ohne Pokémon wird sie nicht weit kommen.“ Maikes dunkelbraune Haarsträhnen wippten heftig, als sie überrascht den Kopf hoch. „Keine Pokémon?“ „Wir haben ihr Magnayen beschlagnahmt, bevor sie entkommen ist. Es ist derzeit in unserem Hauptquartier und wird dort bei den anderen Beweisstücken gelagert.“ „Ein Pokémon ist kein Beweisstück, Adrian“, sagte Maike scharf. „Auch nicht die Pokémon von Verbrechern. Und sie ist ein Kind! Bist du sicher, dass du nicht überreagierst?“ „Glaub mir, ich wünschte, es wäre so“, seufzte Adrian. „Aber wenn nur ein Magma übrig bleibt, der das Vermächtnis von seinem Anführer fortführt, ist Hoenn in Gefahr. Vielleicht sogar die ganze Welt. Das verstehst du doch, oder? Du warst schließlich diejenige, die Groudon in der Urzeithöhle besiegen musste.“ Maike schwieg. Ryan beobachtete sie genau. Von dem, was er aus der Unterhaltung heraushören konnte, war Maike möglicherweise das schwache Glied, das er ausnutzen konnte. Er musste Corinna unbedingt warnen, aber er konnte nicht zurück auf das niedrige Plateau, ohne über die Steilwände zu klettern und eine Geröllkaskade loszutreten. Er musste warten und hoffen, dass Adrian und Maike bald verschwanden. „Wir sollten das Mädchen finden“, gestand Maike. „Und sei es nur, um sie zu befragen. Du hast Recht, diese Aktion hat oberste Priorität. Lass uns bei dem Gärtner nachfragen, er arbeitet hier jeden Tag. Wenn sie wirklich keine Pokémon mehr hat, wird sie versuchen, eines zu fangen oder zu stehlen. Vielleicht hat er sie hier gesehen.“ Kalter Schweiß brach auf Ryans ganzem Körper aus, als er beobachtete, wie Maike und Adrian sich auf den Weg zu der Treppe machten. Sie würden ihn sehen. Sobald sie an seinem Grabstein vorbeikamen, war er ihrem Blick schutzlos ausgeliefert. Sie würden wissen, dass er sie belauscht hatte und dann würden sie ihn befragen, vielleicht foltern, bis er ihnen Corinna auslieferte und dann— Er unterbrach die düstere Spirale seiner Gedanken, als Shuppet direkt vor seinem Gesicht auftauchte und ihn glücklich musterte. Kurz darauf waren es zwei. Dann drei, dann fünf. Sieben. Ein Dutzend. Eine ganze Horde Shuppet umschwärmte ihn und versteckte ihn, gerade rechtzeitig, denn in dem Moment kamen Maike und Adrian an ihm vorbei. Ryan hielt den Atem an. Er konnte durch die vielen Geister nichts erkennen außer dunkelgrau und blau, aber die Schritte verlangsamten sich. „Was ist denn hier los?“, fragte Adrian belustigt. Maike lachte. „Sicher sind sie von dir angezogen worden“, sagte sie. „Wenn die Falten auf deiner Stirn noch tiefer werden, hast du bald einen Canyon in deinem Gesicht.“ „Sehr witzig.“ Die Schritte entfernten sich und endlich, endlich konnte Ryan wieder atmen. Die Shuppet schmiegten sich kurz an ihn, bevor sie wieder unsichtbar wurden. Nur sein eigenes blieb dicht bei ihm, sichtbar wie eh und je. „Ich muss Corinna warnen“, flüsterte Ryan, schlich zur Treppe und suchte auf dem darunterliegenden Plateau nach Corinna. Da war sie, gleich neben der Stelle, wo er zuvor trainiert hatte. Adrian und Maike hatten inzwischen den Gärtner auf der gegenüberliegenden Seite erreicht und unterhielten sich mit ihm. Maike reichte ihm das Plakat. Der Gärtner runzelte die Stirn und hob den Blick. Ryan hatte keine Zeit mehr. So unauffällig wie möglich rannte er die Treppen hinunter und zu Corinna hinüber. Sie hatten keine Chance. Der Gärtner hatte sie erkannt, da war er sich hundertprozentig sicher. Sie konnten sich nicht verstecken, und erst recht nicht fliehen, nicht solange Maike mit ihrem Schwalboss die Verfolgung aufnehmen konnte. Ryan durchlief in seinem Kopf alle Szenarien, verband sein Wissen über Corinna, Team Aqua und die Persönlichkeiten ihrer beiden Widersacher zu einem Flussdiagramm aus Entscheidungen und Möglichkeiten. Er hatte keine Wahl. „Vertraust du mir?“, zischte er Corinna zu, die überrascht zu ihm aufblickte und dann misstrauisch die Augen zusammenkniff. „Nein, wieso?“ „HILFE!“, schrie Ryan aus Leibeskräften und riss Corinna den Pokéball aus der Hand, in dem sich Vulpix befand. „HILFE! SIE WOLLTE MEIN POKÈMON STEHLEN!“ „Was zur Hölle —“, begann Corinna, unterbrach sich jedoch selbst, als bei Ryans Schrei Maike und Adrian den Kopf herumrissen und zu ihnen sahen. Der Gärtner folgte ihrem Blick und deutete plötzlich auf Corinna. „Sie ist das! Auf dem Plakat, das ist das Mädchen!“ Maikes Hand flog zu einem der Pokébälle an ihrem Gürtel und im nächsten Moment materialisierte sich ein Raichu an ihrer Seite, dessen orangegelber Pelz elektrisch knisterte. „Donnerwelle!“, befahl sie mit ihrer Trainerstimme. Ihr Pokémon schoss vor und bevor Corinna auch nur einen Ton von sich geben konnte, traf die elektrische Ladung sie in die Brust und ließ sie paralysiert und spastisch zuckend zu Boden fallen. Das letzte, was Ryan sah, bevor ihr Kopf bewusstlos zur Seite sackte, war der fassungslose Blick, den sie ihm zuwarf. Sie glaubte, er habe sie verraten. Ryan schluckte. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt. Jetzt musste er zeigen, dass er wirklich ein Genie war. „Alles okay?“, rief Maike, die auf ihn zulief und neben ihm und Corinna zum Stehen kam. Adrian folgte etwas langsamer, die Falten auf seiner Stirn nach wie vor unverändert. „Ja“, sagte Ryan und bemühte sich um einen aufgewühlten Tonfall, was ihm unter den Umständen nicht schwer fiel. „Ich habe hier trainiert und plötzlich ist sie aufgetaucht und wollte mein Vulpix stehlen. Zum Glück habe ich es rechtzeitig gemerkt.“ „Ja, zum Glück“, sagte Adrian mit monotoner Stimme. „Bingo. Ich wusste, dass wir sie hier irgendwo finden.“ Maike lächelte Ryan zu. „Diese Trainerin ist ein Mitglied von Team Magma“, sagte sie und lehnte sich dabei etwas auf ihre Knie, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. Ryan unterdrückte das Bedürfnis, sie deswegen anzufahren. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. „Sie flieht schon sehr lange vor dem Gesetz, aber dank deiner Hilfe konnten wir sie nun endlich gefangen nehmen. Adrian, haben wir Handschellen oder so etwas dabei?“ „Ein Seil habe ich.“ Sein Lächeln wurde wölfisch. „Glaub mir, meinen Knoten entkommt sie nicht.“ Während Adrian sich daran machte, Corinna an Händen und Füßen zu fesseln, fuhr Maike mit ihrer Befragung fort. „Wie heißt du?“ „Ryan. Ryan Bittner.“ Ryans Mund fühlte sich zu trocken an. Shuppet umschwirrte unterdessen Corinnas reglosen Körper, als könne es die Ereignisse nicht einordnen. „Also Ryan, nochmal vielen Dank für deine Hilfe.“ Maikes Lächeln war so breit, dass Ryan schlecht wurde. „Wenn wir uns dir erkenntlich zeigen können, sag uns Bescheid. Vielleicht ein paar seltene Traineritems?“ Ihr Blick fiel nun doch auf Shuppet, das zu ihm flog und eng an seiner Seite blieb, sichtlich gespalten zwischen Verwirrung und Glücksrausch. „Ich weiß!“ Sie kramte in ihrem ausladenden Rucksack herum und förderte einen grauen Papierstreifen mit rotem Muster darauf zu Tage. „Ein Bannsticker für dein Shuppet“, sagte sie und heftete den Sticker auf Shuppets Brust. Das Pokémon schwoll mit violetter Energie an. „Er verstärkt Geistattacken. Ich habe ihn nie gebraucht, aber für dich ist er bestimmt nützlich.“ „Also“, begann Ryan, „ich hatte eigentlich darauf gehofft, dass …“ Jetzt, da er es aussprechen wollte, wurde ihm bewusst, wie irrsinnig seine Idee war. Alles hing von ihrer Antwort ab. Was, wenn sie ablehnte? Maike nickte ihm aufmunternd zu. „Ich hatte gehofft, Team Aqua beitreten zu können“, gab Ryan zu, leise, so als wäre er schüchtern. „Als Hoenn in Gefahr war, habe ich so viel von euch gehört und ich möchte auch etwas bewirken. Etwas Gutes.“ Maikes Züge entgleisten und sie sah hilfesuchend zu Adrian, der mit den Schultern zuckte. „Wie alt bist du denn überhaupt?“, fragte sie Ryan. Er schluckte. „Vierzehn.“ „Du siehst eher aus wie elf“, gestand sie. Ryan plusterte sich auf. „Davon abgesehen, dass wir erst ab sechzehn rekrutieren“, sagte Adrian und erhob sich, „nehmen wir nicht jeden auf. Du musst dich bewerben und ein Verfahren durchlaufen. Nachdem einige Magmas versucht haben, uns zu infiltrieren, mussten wir Sicherheitsmaßnahmen einleiten.“ Er fixierte Ryan mit einem eisigen Blick. „Das verstehst du sicher.“ „Tut mir leid“, sagte Maike und richtete sich auf. „Ist nicht böse gemeint. Bewirb dich doch einfach in ein paar Jahren und dann schauen wir, was passiert. Adrian, können wir los?“ Der Aqua-Boss nickte. Hilflos musste Ryan mit ansehen, wie Maike ihr Schwalboss rief, die gefesselte Corinna bäuchlings über den Rücken des Vogelpokémons warf und sich dahinter setzte. Sie gab ein leises Pfeifen von sich und im nächsten Moment katapultierte sich Schwalboss in die Lüfte und verschwand am Horizont. Adrian sah ihr hinterher. Schließlich drehte er sich um und sah Ryan an. „Ich kann nichts beweisen“, sagte er leise, „aber wenn es nach mir ginge, würdest du jetzt neben deiner kleinen Freundin liegen.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und machte sich an den Abstieg. Ryan ließ er schweißnass und mit zitternden Händen zurück. Als er verschwunden war, sackte Ryan in sich zusammen und vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Ich habe gerade alles nur noch schlimmer gemacht, oder?“, fragte er heiser. Shuppet gab ein glückliches Gurren von sich und rieb seinen Kopf an Ryans Gesicht. „Ja“, sagte Ryan und fuhr sich durchs Haar, „habe ich mir schon gedacht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)