Diagnose: Schreibblockade von Geminy-van-Blubel (Dreimonatige Challenge) ================================================================================ Kapitel 139: 7.5.2024: Antagonist --------------------------------- Das leise Plätschern des Flusses vermischte sich mit einem dünnen Regenschleier, der alles mit einer samtigen und doch kalten Schicht bedeckte. Als sie das letzte Mal so auf einer Bank gesessen hatte, war es noch kalt gewesen, weil der Frühling sich langsam gegen den Winter behauptet hatte, aber jetzt kamen bereits die ersten kühlen Nächte, die auf den Herbst hindeuteten. Das satte Grün der Bäume und Sträucher verwandelte sich in leuchtendes Rot, Gelb und Orange. Die Luft war nach dem heißen, teils schwülen Sommer endlich wieder klar und frisch. Aber trotzdem nahm Hellen das alles kaum wahr. Sie spürte nicht einmal, wie ihre Hände immer kälter und blauer wurden, während sie sie zitternd auf ihren Knien liegen hatte. Ihr Körper war so angespannt, dass sie kerzengerade da saß. Dann und wann brachte sie ein Schluchzen zum Wanken. Die letzten Monate waren eine Achterbahn der Gefühle für sie gewesen und sie wusste nicht, wie sie all das Erlebte verarbeiten sollte. Momente voller Glückseligkeit und Freiheitsgefühl hatten sich abgewechselt mit Angst, Zweifeln und Hilflosigkeit. Wenn sie daran zurückdachte, krampfte sich ihr Herz zusammen und ein erneutes Schluchzen ergriff ihren Körper. Sie hob die Hand und legte sie an ihre Wange, die noch immer ein wenig kribbelte und seine Worte hallten in ihrem Kopf wider: „Mach mich nicht zum Antagonisten in deiner Geschichte! Ich hab dir alles gegeben, was man sich nur wünschen konnten und wie hast du es mir gedankt? Mich über Monate hinweg betrogen und hintergangen! Dachtest du, ich merk das nicht?! Dieses Theater hab ich mir lang genug angeschaut!“ Hellen krümmte sich zusammen und presste die Hände aufs Gesicht. Sie schüttelte den Kopf und schaute dann zu dem Koffer neben sich. Mehr hatte Richard ihr nicht gelassen und selbst das würde er ihr vielleicht noch nehmen. „Wie konnte es nur so weit kommen?“, wisperte sie und ließ den Kopf hängen. Sie wusste nicht, wo sie hin sollte und hatte kein Geld für eine Unterkunft. Die Bankkarte hatte er ihr abgenommen und Bargeld besaß sie ohnehin kaum welches. Das Smartphone war in einem Tobsuchtsanfall an der Wand gelandet. Sie konnte weder ihre Eltern noch Geschwister erreichen und selbst wenn: Niemand hätte ihr im Moment helfen können. Die Geschwister waren inzwischen teilweise hunderte Kilometer weit weg gezogen und im ganzen Land – sogar über dessen Grenzen hinweg – verteilt und den Eltern hatten sie zum letzten Hochzeitstag alle gemeinsam eine dreiwöchige Kreuzfahrt geschenkt. Als Anerkennung für alles, was sie für ihre Familie getan hatten und stellvertretend für die Flitterwochen, die sie vorher nie machen konnten. Nun saßen sie gerade irgendwo auf einem riesigen Schiff und hielten die Bäuche in die Sonne. Hellen war nicht mal sicher, wo sie als nächstes an Land gingen. Und Ben? Wieder schüttelte sie den Kopf. Ben wollte und konnte sie im Moment am aller wenigsten sehen. Das Geräusch von Schritten im Kies drang an ihr Ohr und reflexartig griff sie zu ihrem Koffer. War es wieder die Bande Halbstarker, vor der sie sich in der vergangenen Nacht in einem Hinterhof versteckt hatte, weil sie nicht wusste, ob sie einfach nur große Mundwerke besaßen oder wirklich gefährlich waren? Nein. Erleichtert seufzte Hellen aus: Eine Joggerin führte ihre Runde am Fluss vorbei. Bei näherem Hinsehen runzelte sie allerdings die Stirn, dann starrte sie mit schreckgeweiteten Augen hinauf, als die junge Frau wenige Meter entfernt von ihr anhielt und sie musterte. „Was machst du denn hier?“, stützte sie kurz die Hände auf den Oberschenkeln ab und kam zu neuem Atem. Als sie die Kopfhörer aus den Ohren zog und in langsameren Schritten näher auf Hellen zuging, konnte die ein undefinierbares Gemisch aus Geräuschen hören. Nach einem kurzen Tippen aufs Smartphone verstummte die Musik und es blieb einen Moment lang nur das Rauschen des Flusses, gemischt mit dem noch immer erhöhten Atem. „Jenny“, murmelte Hellen und fand keine Worte, während die blonde Frau jetzt direkt vor ihr stand, die Hände auf die Hüften gestützt und wie immer mit einem leicht abschätzigen Blick in den Augen. Sie betrachtete nicht nur Hellens Koffer und den zitternden Körper, der gemeinsam mit ihrer durchnässten Kleidung verriet, dass sie schon länger hier draußen war. Sie lehnte auch leicht den Kopf zur Seite und schaute auf die gerötete Wange. „Was ist passiert?“, wollte sie wissen, aber als Hellen versuchte zu antworten, brachte sie nur wieder ein Schluchzen hervor. Jenny seufzte aus. Sie konnte sich ihren Teil denken und es überraschte sie wenig. „Ich hab gleich gewusst, dass das eine dämliche Idee war“, murmelte sie und schüttelte den Kopf. Hellen starrte sie an. „Du wusstest es?“, flüsterte sie heiser und Jennys Mundwinkel zuckten leicht. „Na ja, eigentlich war es offensichtlich, oder?“, meinte sie und wieder drückte eine eisige Hand Hellens Herz zusammen. Ja, genau genommen hatte Jenny recht, aber das machte die späte Erkenntnis nicht weniger schmerzhaft, eher im Gegenteil. „Wie dem auch sei, du musst jetzt erst mal aus dem Schmuddelwetter raus, sonst holst du dir zu allem Überfluss noch was weg. Zu Ben willst du sicherlich nicht“, waren ihre Worte keine Frage, sondern eine Feststellung, als sie nach Hellens Koffer griff. Hellen presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Ihre Finger gruben sich so fest in den Stoff ihrer Hose, dass die Knöchel weiß hervortraten. Dann aber ließen sie genauso schnell wieder locker, als Jenny sie mit dem Vorschlag überraschte, ausgerechnet bei ihr erst einmal Unterschlupf zu finden. „Wirklich?“, fragte Hellen ungläubig und mit gebrochener Stimme und Jenny nickte. „Mit so was mach ich keine Scherze“, deutete sie in die Richtung, aus der sie gekommen und sagte: „Na komm“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)