Hungrige Gier
~ Hungrige Gier ~
Auch wenn er wütend war, entging Aya nun nicht, dass schleichender Wahnsinn in Schuldigs
Augen kroch und dass er mit einem Male in höchster Lebensgefahr war. Schuldig war darauf
aus zu töten. IHN zu töten.
Die Hand, mit der er die des anderen Mannes gerade eben noch umklammert hatte, verlor
langsam an ihrer Strenge, entließ den Deutschen aus seinem Griff. Ayas gesamte Gestalt
spannte sich, machte sich für einen unausweichlichen Kampf bereit, der möglicherweise zu
seinen Ungunsten ausgehen konnte.
Möglicherweise? Aya schnaubte innerlich. Mit großer Wahrscheinlichkeit sogar.
Vermutlich würde er sogar den Kürzeren ziehen und wie es im Moment aussah, schreckte
Schuldig der Mord an ihm nicht wirklich ab. Im Gegensatz zu seinem Versprechen ...
Das Versprechen ...
Aya runzelte die Stirn. Es war eine Möglichkeit ... eine Unbekannte.
Er konnte nicht abschätzen, wie sich sein jetziges Verhalten auswirken würde, dennoch
sprach er ihm eine größere Möglichkeit zu als zu versuchen, gegen den Deutschen zu
kämpfen.
"Das wirst du nicht tun." Ruhig intoniert, so als wäre es das selbstverständlichste der Welt.
Vor einem Raubtier durfte man nicht fliehen. Man musste Mut zeigen.
"Denk an unseren Deal. Du wirst mich nicht umbringen, hörst du?" Immer wieder...in
ruhigen, getragenen Worten.
Aya wusste nicht, ob er das Richtige tat, dennoch zog er unweigerliche Parallelen, ging das
bisher größte Risiko ein. Legte dem anderen Mann seine Hand auf die Stirn, strich sie hinab
zur Schläfe.
Du hast mir nichts zu sagen, schrie etwas in Schuldig, dass die Worte gehört hatte, ja sie sogar
verstanden hatte. Doch es war zu schwach um sich gegen die einnehmende, alles unter ihre
herrschsüchtige Knechtschaft zwingende Irrnis, zu wehren.
Worte, er hatte ruhige Worte gehört, die das Rauschen zurückdrängten, die die Wut des anderen
übertönen wollten.
Doch nun ging das Rauschen zurück um die Worte verstehen zu können. Denn sein Gehör wollte
seine Aufgabe wahrnehmen und `hören`. Es trennte sich vom Wahnsinn ab, kehrte zur Vernunft
zurück.
Ebenso wie sein Tastsinn, der die Wärme der Hand fühlen konnte. Zwei Abtrünnige des Wahnsinns,
die ihn mit der Besinnung an ihre Aufgaben hinter die Linie zurückzogen. Mit der einzigen Waffe, die
sie ihm entgegensetzen konnten um ihn durch die Vernunft in Ketten legen zu lassen: Gefühl.
Schuldig fühlte, dass der Mann vor ihm diese guten Gefühle von Normalität, von ... menschlicher
Nähe in ihm auslösten, die er begrüßte. Denn der Wahnsinn machte ihn einsam, trieb ihn in die
Einsamkeit, der Welt der grausamen Gedanken.
Langsam hob er die Hand, der Blick fiel etwas in sich zusammen, als zerbreche eine Maske.
Für einen minimalen, schrecklichen Augenblick schien es, als wäre Ayas Idee genau die
Falsche gewesen, doch dann zeigten sich erste Veränderungen in dem feindlichen
Telepathen. Die Ruhe, die einkehrte. Ein wenig rationelles Denken ... Sicherheit ... für ihn.
Auch wenn Aya die auf ihn zukommende Hand mit Misstrauen zur Kenntnis nahm, bewegte
er sich nicht, sondern ließ es geschehen.
Egal, wo sie hinwandern würde, jede Verweigerung würde unwillkürlich das zerbrechen
lassen, was er sich gerade so mühsam aufgebaut hatte. Stattdessen fuhr er immer noch fort,
die Schläfe des Telepathen entgegen zu streichen, diese Geste ein Andenken an die Zeit im
Keller. Auch wenn er sich mittlerweile ernsthaft fragte, was für gefährliche Charakterzüge
des Deutschen ihn noch erwarten würden ...
Schuldigs Hand näherte sich dem Gesicht vor ihm. Um es als wahrhaft erkennen zu können wollte er
es berühren, wollte fühlen ob daher die Wärme kam.
Seine Fingerspitzen tasteten sich näher, trafen auf die Oberfläche der Haut und fuhren bei dieser
Berührung sofort wieder zurück. Kamen wieder und verhielten kurz an der Schläfe, krochen zart in
den Haaransatz. Er folgte ihnen mit seinem Blick. Grün polierter Smaragd fiel in die schmeichelnde
kostbare Flut von roter Seide.
Aya.
Irritiert zog Schuldig die Stirn kraus, riss sich vom Anblick des roten Haares los und suchte die Augen
seines Gegenübers. Suchte ... die Ruhe, die darin lag.
Es war, als könne er nicht mehr aufrecht stehen, als ihn dieser Blick traf. Das Misstrauen darin in
seiner vollkommenen Gegensätzlichkeit zu der warmen Hand an seiner Haut. Die Erkenntnis über
das, was er beinahe getan hätte überkam ihn und er ließ die Hand sinken, löste sich aus der
Berührung und ging mit hölzernen Schritten zu seinem Bett.
Er ließ sich darauf nieder, sein heißes Gesicht in die Hände gelegt, die Fingerspitzen in die Stirn und
Schläfen gekrallt stützte er die Ellbogen auf die Oberschenkel. Tief durchatmend, schwieg er.
Würde er es je loswerden? Dieses `Etwas` in ihm?
Er hatte keine Kraft mehr, er war so verdammt müde, auch wenn sein Körper noch in Aufruhr war; er
konnte nicht mehr.
Ayas Haut prickelte unangenehm, wo Schuldig mit seiner Hand über die überreizten Zellen
gestrichen war. Wo er seinen Haaransatz berührt hatte.
Er sah unbewegt zu, wie dieser sich auf das Bett setzte und ihm zunächst keine Beachtung
schenkte. Ihn seiner nun einsetzenden Angst überließ, von der Aya noch nicht einmal
gewusst hatte, dass er sie überhaupt gefühlt hatte. Er zitterte leicht vor Anspannung, vor
Wissen, dass es auch gut und gerne anders hätte ausgehen können.
Er bewegte sich auf einem Drahtseil über einem tiefen Abgrund. Und wenn er nur einmal das
Falsche tat, würde er bei dem Versuch, eben dieses auszubügeln, sterben. Das wusste er. Und
wodurch war er in diese Situation gebracht worden? Durch Schuldig.
Sie hätten ihn nicht entführen müssen. Sie hätten ihn da lassen können. Das hätte es IHM
erspart, nun mit solch einer gefährlichen Situation umgehen zu müssen. Ausgerechnet ihm,
der von Zwischenmenschlichkeit nun gar nichts hielt. Zumindest nicht viel.
Schuldigs Augen wurden feucht, fingen an zu brennen. Brennen wie die Wut auf sich selbst, die
verzweifelte Wut die ihre Tränen vergießen wollte, wie so oft wenn er am Ende seiner Kräfte war und
die Gedanken kamen. Seine Gedanken mit der murmelnden Hintergrunduntermalung der vielen
anderen Gedanken, die er dann nicht mehr abstellen konnte.
"Leg dich hin", sagte er müde mit belegter Stimme.
Aya wusste in diesem Moment, dass es ihm überhaupt nichts brachte sich zu wehren. Es
würde zum vollkommenen Armageddon führen, ja. Doch das würde die Dinge
verständlicherweise nur verschlimmern. Er hörte sie, die tränengetränkten Silben und wusste
gleichsam, wie instabil der Telepath war.
Aya kam zum Bett, setzte sich wortlos darauf nieder. Sah die Edelstahlmanschetten.
Seine Lippen verzogen sich zu einer starren Linie, die Hände zu eisernen Fäusten geballt. Er
wollte das nicht. Dennoch sank er nun zurück, auf den Rücken, die Augen starr an die Decke
gerichtet.
Schuldig hörte wie der Mann sich näherte, auch wenn die nackten Fußsohlen keinen Laut
verursachten, so tat es doch die Kleidung, das minimale Geräusch und das Niedersetzen auf dem
Bett, welches ihn aufstehen ließen. Er verbarg alles, was er momentan fühlte hinter einer Maske aus
Müdigkeit und Leere. Weit dahinter im Niemandsland seines Geistes tobte das Chaos der Gedanken,
ließ seine Handlungen automatisch erfolgen. Die schmalen abgerundeten Kanten der Manschetten
lagen kühl unter seinen Fingern als er sie aufnahm. Aya lag vor ihm.
"Nimm die Hände zusammen", sagte er ebenso leise wie zuvor.
Die Reaktion, die erfolgen sollte, blieb jedoch aus. Schuldig wartete nicht lange, stützte sein Knie auf
das Bett, legte die Manschette um das linke Handgelenk, ließ sie mit einem hauchfeinen Klicken
ineinander schnappen, ließ das Rechte folgen und führte die schlaffen Arme dann über den Kopf des
Weiß bis sie auf dem Bett aufkamen.
Das Bett war groß, hatte keine Befestigungsmöglichkeit, da keine Bettpfosten oder selbiges
vorhanden war. Es war lediglich eine große Spielwiese.
Er musste den Weiß also am Bettfuß fesseln. Die Kette lag nicht unweit und er zog die feinen Glieder
durch die Ösen der Manschetten hindurch, schlang die Kette um den Bettpfosten, welcher am Boden
in einem Guss mit der metallenen Platte überging, die unter dem Bett lag. Eher eine optische
Spielerei denn als Nutzen gedacht.
Er ließ die Kette so locker wie möglich, sodass Aya die Möglichkeit hatte, seine Arme vor das Gesicht
zu legen, weiter jedoch nicht. Das Schloss schnappte ein und er stand wieder auf.
Stumm betrachtete er sich die Gestalt einen Augenblick. Die Kette und die Edelstahlmanschetten,
waren eher Schmuck, denn dazu gedacht gewesen jemanden wirklich festzuhalten. Ein teurer
Schmuck.
Er entfernte sich vom Bett, löschte die Lichter nach und nach, ging wieder in die Küche und holte sich
ein Glas Wasser, wühlte in seinem Medikamentenfach nach seinen Schlaftabletten. Er drückte sich
eine aus der Packung und schluckte sie hinunter. In einer halben Stunde hätte er Ruhe. Auf diese
Voraussage konnte er sich verlassen. Zu oft hatte er sie schon benötigt um schlafen zu können
Aya ließ es mit starr zusammengepressten Kiefern über sich ergehen. Er hatte das Gefühl,
dass er sich das Gelenk selbst brechen würde, unter der Wucht, mit der er es zusammenbiss.
Übelkeit wellte abrupt in ihm hoch. Kalter Stahl.
Seine Arme weit über seinem Kopf ausgestreckt. Hilflos. Ausgerechnet er. Hilflos. Hass
überschwemmte ihn, brandete sich an seiner Seele und tränkte sie in rote, schäumende
Brandung. Dem Wunsch, nein, der Gier nach Blut.
Er wandte sich ab, drehte sich zur Seite. Weg von Schuldig. Er wollte ihn nicht mehr sehen.
Sein Körper stand unter Hochspannung und nur eine minimale Berührung hätte die stumme
Beherrschung zerrissen wie nichts. Eine, minimale Berührung und er konnte seine Wut, seine
Frustration, seinen Hass nicht mehr zurückhalten. Draußen ... im Kampf wäre das kein
Problem gewesen, doch hier, gefesselt und wehrlos wie er war, würde er schier zerbrechen
unter der Wucht seiner Gefühle.
Der Rest würde dann unschön für ihn werden.
Aya bettete seine Arme vor das Gesicht, legte sie so übereinander, dass sich der Stahl nicht in
seine Haut schnitt, auch wenn die Fesseln jetzt schon schmerzten ... dank dem Draht.
Doch das war nicht das, was Aya wirklich beherrschte. Seine Gedanken waren es, die sich
spiralförmig immer weiter nach unten drehten ... immer tiefer hinab in die Verachtung für
den Schwarz und dessen Handeln.
Schuldig nahm die Fernbedienung, steuerte das Herablassen der Jalousien um sie beide der
Dunkelheit zu übergeben und löschte die letzten Lampen im Vorbeigehen. Neben dem Bett blieb er
im Dunkeln stehen, nahm die Decke die am Fußende lag und breitete sie flüchtig über Aya aus, wo er
ihn vermutete, zog seinen Bademantel aus und legte sich nieder. Die Zeitschaltuhr würde gegen
Mittag die Rollladen wieder heben und sie wecken.
o~
Aya hatte sich stundenlang dagegen gesträubt, einzuschlafen. Er hatte wachgelegen, den
Atemzügen des anderen Mannes gelauscht und seine hilflose Wut in Ruhe umzuwandeln
versucht. Ob ihm das gelungen war ... er glaubte es nicht. Wenn er für sich alleine dort
gelegen und nicht daran gedacht hätte, dass er gefesselt und hilflos neben seinem Feind lag,
wäre der Versuch vermutlich von Erfolg gekrönt gewesen.
Nur war dem leider nicht so. Das raubte ihm Schlaf und auch Kraft, ließ ihn schließlich vor
Erschöpfung doch leicht einschlummern, jedoch immer wieder hochfahren. Seine hellwachen
Instinkte zeigten ihm wieder und wieder Gefahr auf, hielten ihn schlussendlich doch wach.
Wie lange das war, bis endlich diese verdammten Jalousien hochgehen würden ... das wusste
er nicht.
Schuldig schlief dank der Wirkung der Tablette ohne Durchschlafschwierigkeiten und wachte nach
einigen Stunden langsam auf, die Ruhe in seinem Kopf genießend.
Er stützte sich auf einen Ellbogen, rieb sich die Augen und hangelte nach dem kleinen Wecker, den
er unter dem Bett positioniert hatte. Kurz vor zehn Uhr, zeigte ihm der Zeitmesser mit den
Leuchtziffern. Er stellte ihn wieder ab und ließ sich mit einem kleinen Seufzer wieder nach hinten
fallen.
Wie ausgeruht er sich doch fühlte, zwar mit einem Riesendurst, aber er hatte keine Lust aufzustehen,
er würde noch liegen bleiben und die Stille auf sich wirken lassen. Er zog die dünne Decke, die um
seine Hüften lag etwas weiter hinauf und legte seinen Arm unter den Kopf.
Aya hörte, dass der andere Mann wieder zu sich kam, sich neben ihm regte. Alles in ihm
verspannte sich vor neuem und altem Hass. Vor Übelkeit, die ihn unerwartet überkam, die er
aber nach und nach niederkämpfte. Er sagte nichts, verhielt sich völlig still, zerschnitt jedoch
die Luft vor sich mit einem eisigen Blick.
Warum hatte er gestern noch einmal gleich soviel Wert darauf gelegt, Schuldig zu beruhigen?
Warum hatte er es nicht einfach darauf angelegt und wäre das Risiko eingegangen und hätte
den anderen Mann getötet? Auch wenn er selbst dabei hätte draufgehen können? Jetzt, heute,
war ihm das unverständlich.
Schuldig starrte in das Dunkel, wobei es nicht völlig finster war, denn durch eines der großen Fenster
durchschnitt die Sonne in gebündeltem Licht die absolute Finsternis. Er hatte die Jalousie nicht
vollständig herabgelassen. Scheinbar wurde es ein sonniger, aber vermutlich kalter Tag werden. Er
wollte sich auf die Seite drehen und erstarrte für einen Moment in der Bewegung, als sein Kopf
bereits den Lagewechsel einleiten wollte. Wer?
Und dann schlug die Erinnerung zu. Überrannte ihn und spulte ihm die Ereignisse des letzten Tages
vor. Die Schulter des anderen Mannes, der von ihm abgewandt lag, zeichnete sich dunkel vor ihm ab.
Wie auch gerade schon vernahm Aya genau, wie sich der andere Mann bewegte, sich ihm
nun zudrehte. Stockte, wie er mit nun fast schmerzhaftem Herzklopfen feststellte. Egal, was
Schuldig nun tun würde, Aya wusste, dass er sich nicht genug unter Kontrolle hatte.
Diese Situation zerrte an seinen Nerven, alleine die Manschetten taten das, die er
wohlweißlich mit seinen Blicken mied. Sie dennoch spürte durch den feingliedrigen
Schmerz, der sich von den Drahtspuren darum zog.
Mit aller Gewalt konzentrierte er sich auf seinen Körper. Auf dessen Beschwerden, die er nun
nach und nach auflistete, sich damit Ablenkung verschaffte. Spürte er doch instinktiv den
Blick des Telepathen auf sich und konnte sich durchaus vorstellen, wie dieser auf ihm ruhte.
Schuldig ließ sich zurück auf den Rücken gleiten und starrte an die Decke. Diese Tabletten hatten
ihm doch tatsächlich einen erholsamen Schlaf beschert und sogleich das ausgelöscht, was ihm
dieses Schlafbedürfnis ausgelöst hatte: Seine Entführung, sein Aufenthalt in diesem Keller, Aya und
dessen Anwesenheit in seinem Apartment. Dass dieser Mann ihn gestern bis aufs Blut gereizt hatte
und er diese Reizung fast mit dem kompletten Verlust seiner Kontrolle über das Chaos in ihm
beantwortet hätte ließ sich leider nicht verdrängen. Ganz im Gegenteil.
Es war zu präsent in ihm. Schuldigs instabile Lage gestern war eine der extremen
Ausnahmesituationen gewesen, die sonst höchstens eines seiner Opfer oder gar Brad vorher erlebt
hatten. Scham und Wut über sich selbst, dafür, dass Aya dies gesehen hatte. Seine Schwäche
gesehen hatte.
"Ich hoffe, du hast ebenso gut geschlafen." Sagte er mit einem gehässigen Unterton. Jaa, das tat gut.
Das war besser als Tränen.
Aya erwiderte nichts, auch wenn es ihn der beißende Ton des Telepathen wie eiskaltes
Wasser durchzog. Natürlich ... Schuldig machte es Spaß. Wie hätte er auch anhand der
gestrigen Kommentare etwas Anderes annehmen können?
Wie war das nochmal mit der Dankbarkeit gewesen, die er doch hatte empfinden sollen?
Wem gegenüber? Schuldig?
Dafür, dass dieser sich daran aufgeilte, ihn so zu sehen?
Innerlich lachte er darüber. Äußerlich zwang er sich mit schmerzendem Willen zur Ruhe.
Schuldig war Schuldig und genoss dieses Spiel. Das würde er bereuen, soviel konnte Aya
jetzt schon sagen. Doch bis es soweit war ... würde er einfach warten müssen ... einfach
warten.
Er entspannte seine gesamte Gestalt, übersah alles, was ihm Unwohlsein bescherte. Weg mit
der Übelkeit in seiner Magengegend, weg mit den verspannten, schmerzenden Muskeln, dem
quälenden Durst ...
Schuldig hatte keine Antwort erwartet, aber das Schweigen reichte ihm. Es war Balsam für ihn.
Keine Widerworte, kein nervendes Gefrage um das große Thema: Warum das Ganze. Herrlich.
Schnell überprüfte er die Umgebung mittelsTelepathie, ließ Brad wissen, dass es ihm besser ging,
dass er alles unter Kontrolle hatte. Was den Anführers ihres Teams jedoch nur im kleinen Maße
beruhigte wie es schien.
Er grinste in sich hinein und beschloss aufzustehen. Gut gelaunt streifte er die Decke weg und ließ
seinem Entschluss Taten folgen, ging nackt wie er war in Richtung Badezimmer um sich seiner
Körperpflege zu widmen. Aya hatte die Möglichkeit ihm zu sagen, wenn er etwas benötigte, er
dagegen hatte nun das dringende Bedürfnis ausgiebig zu duschen und sich einer Gesichtsrasur zu
unterziehen.
Aya lauschte dem Rauschen der Dusche, ließ es wie trügerisch falschen Balsam seine Seele
einlullen. Es würde ihm gar nichts bringen, wenn er voller Hass und Wut darauf wartete, dass
Schuldig seinen nächsten Aussetzer bekam und ihm damit die Möglichkeit gab, den anderen
Mann zu beseitigen. Er musste warten ... warten auf irgendeine Schwachstelle des Deutschen,
egal, was ihn das kostete.
Auch wenn ihm das schwer fiel wie nichts, doch er war nie der Mensch gewesen, der sich
Herausforderungen nicht stellte. Und das hier war eine. Ein Test an seine Selbstbeherrschung.
Aya lächelte. Als wenn er jemals versagt hätte.
Schuldig verließ das Badezimmer nach einer Stunde, schaltete das Radio ein, und ließ die Jalousien
zur Hälfte hochfahren. Danach ging er wieder in den Schlafbereich, der sich durch zwei Stufen vom
übrigen Wohnraum optisch abgrenzte und suchte sich Kleidung, die ihn jetzt ansprach, aus.
Schwarz wäre jetzt eine gute Farbe, beschloss er schlüpfte in eine schwarze Lederhose und ein
leuchtgrünes T-Shirt, welches eng anlag. Seine Haare band er nur flüchtig zusammen. Ohne ein
weiteres Wort zu verlieren ging er um das Bett herum und besah sich die liegende Gestalt. In seine
Beobachtungen vertieft bückte er sich und nestelte an der Kette, überlegte jedoch noch einen
Moment und blickte Aya grinsend an.
Was für ein Gegensatz zum gestrigen Tag, schoss es Aya durch den Kopf, als ihn der
amüsierte Blick des Deutschen traf.
Anscheinend hatte sich der gestern so handzahme Telepath wieder gefangen und kostete
seine Überlegenheit nun in vollen Zügen aus. Eine Überlegenheit, die Aya ihm gestattet
hatte, wie ihm mit einem Male bewusst war.
Er hatte sich gestern freiwillig hingelegt.
Nun ... den Umständen entsprechend freiwillig.
Doch das waren Details ... zumal ihn der gesamte Umstand leise lächeln ließ. Er würde sich
schon darum bemühen, Schuldig das Leben madig zu machen.
Mit deutlichem Amüsement in der Stimme erwiderte er den Blick mit einem rauen "Wie...so
ganz ohne Panik heute, Schwarz?"
Herrlich, die Schwachpunkte des Anderen auszuloten.
Ah, daher wehte also der Wind, stellte Schuldig gedanklich fest, sein Amüsement keineswegs
dadurch trüben lassend.
"Nein, dank deiner Hilfe geht's mir heute wieder prima. Ich strotze nur so vor Unternehmungslust und
Energie", grinste er und seine gute Laune zeigte sich auch in seinen Augen. Er öffnete die
Edelstahlmanschetten und zog die Kette aus den Ösen heraus, verschloss sie jedoch wieder, nicht
das Aya auf die Idee kam und ihm noch sein zartes Hälschen damit zuzog.
Was genau das war, das Aya in diesem Moment am Liebsten getan hätte.
"Das freut mich natürlich ... habe ich doch gestern noch gedacht, dich tatsächlich zum
Weinen gebracht zu haben", entgegnete er stattdessen mit freudigem Spott, während er sich
aufrichtete und seine Knochen knacken ließ. Besonders seinem Rücken Aufmerksamkeit
schenkte, als sich ein Wirbel nach dem anderen in seine korrekte Position zurückfallen ließ.
Ah ... das tat gut.
Mit einem festen Blick in die amüsierten, nun gar nicht mehr müden, grünen Augen, fischte
er das Haargummi aus seinen teils noch feuchten Zotteln und schüttelte sie. Machte sich
schließlich daran, sie zu flechten.
Schuldig zog die Augenbrauchen überrascht Richtung Haaransatz und grinste
belustigt, bis seine Lippen sich teilten, er lauthals zum Lachen begann,
und dabei aufstand.
Er glaubte es nicht, Aya begab sich doch tatsächlich auf sein Terrain.
Verständnislos schüttelte er den Kopf und wandte sich um, um Richtung
Sitzecke zu gehen, da dort das Telefon lag.
"Dieses spöttische Lächeln steht dir nicht, Fujimiya", sagte er noch immer
in sich hinein lächelnd und lehnte sich über die Couch um sich das Telefon
zu greifen.
"Im übrigen habe ich nicht wegen dir geheult", sagte er beiläufig, warf dem
Mann einen ruhigen, ausgeglichenen Blick zu, als mache es ihm nichts aus
über das Thema zu sprechen. Als ginge es um den heutigen Einkauf, eine
belanglose Sache. Aber es war nicht so, ihn belastete der gestrige Tag im
Hinterkopf noch immer, doch Aya war niemand, der sich mit ihm auf dieser
Ebene messen konnte. Das konnte fast niemand.
"Warum bildest du dir auf deine Rolle gestern so viel ein?" fragte er als
er sich verbinden ließ und wartete. "Es hätte jeder x beliebige sein
können, du warst gerade zufällig da. Es ging mir nicht um Weiß, um die
Entführung, um dich. Ich wollte lediglich meine Ruhe, die du mir nicht
gegönnt hast. Das ist alles. Du warst in dem Moment völlig nebensächlich,
du warst jemand, der mich in meiner Lage gereizt hat, mehr nicht."
Wieder lächelte er, seiner selbst völlig sicher.
"Meinst du, alles würde sich um dich drehen? Ganz bestimmt nicht. Ich habe
gestern nur an mich gedacht, kein Stück weit an dich. Warum sollte ich also
wegen dir ...," sagte er, wurde jedoch vom Gesprächsteilnehmer, der ihn
begrüßte, unterbrochen.
Er wandte sich von Aya ab und ließ sich auf die Couch fallen, beachtete
seinen unfreiwilligen Gast augenscheinlich nicht mehr. Doch sein Verstand
behielt die Gefahr im Auge.
Aya flocht in Ruhe seine Haare zuende und hörte dem anderen Mann kommentarlos zu,
konnte sich seinerseits ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Soso ... nicht wegen ihm ...
und es hätte also jeder x beliebige sein können ...
Na dass er nicht lachte. Schuldig hatte nur an sich gedacht? Aya schüttelte spöttisch den
Kopf, stand langsam auf.
"Stimmt, da waren ja gestern zwei Gläser Wasser, nicht nur eines ... wie konnte ich es
vergessen", erwiderte er dem Rücken des Schwarz und begab sich schließlich kommentarlos
in das Bad, zog hinter sich die Tür zu.
Es war ihm egal, was Schuldig dazu sagen würde ... er WUSSTE, dass er triumphiert hatte.
Dass er nur warten musste, bis der andere Mann wieder einen seiner Schwachpunkte
offenbarte. Nur um dann zuzuschlagen.
Aya lächelte seinem Spiegelbild entgegen, sah sich, wie spöttisch es aussah. Was sollte er
sagen ... Schuldig hatte Recht. Es stand ihm nicht. Es machte ihn ebenso widerwärtig wie den
Deutschen auch.
Und dennoch lernte er von Schuldig. Bekämpfte ihn mit gleichen Mitteln.
Das Lächeln verschwand und er drehte den Wasserhahn auf. Schöpfte mit seinen Händen
etwas des kühlen, wertvollen Nass und trank es gierig. Gott, was hatte er für einen Durst
gehabt ...
Schließlich entledigte er sich der Kleidung, stieg innerlich summend unter die Dusche,
erfrischt und gleichwohl auch befriedigt von dem kleinen Austausch zwischen ihm und
Schuldig. Ob der andere Mann wohl wusste, dass er den Sieg davongetragen hatte? Er wagte
es zu bezweifeln ... doch das war auch nicht so wichtig ...
"Ja ... nein geht schon in Ordnung, ja ..., bis dann", verabschiedete sich
Schuldig und hatte mit einem Freund ein Treffen vereinbart. Während Aya im
Badezimmer war hatte er einige Telefonate geführt.
Er hörte Aya im Badezimmer als er auflegte und lehnte sich entspannt auf
der Couch zurück.
Schuldig hatte zwar die Worte gehört, aber sie belangten ihn nicht
wirklich. Scheinbar hatte Aya seine Worte auf seine gesamte Anwesenheit
bezogen, er jedoch hatte lediglich die Situation seiner geistigen
Instabilität gemeint. Denn in dieser hatte Aya keine auf ihn bezogene Rolle
gespielt. Nun gut, er würde abwarten.
Erst einmal musste er einkaufen gehen, ihren Vorrat ... seinen Vorrat
aufstocken und danach würde er sich einen schönen Abend machen und erst in
der Nacht wieder zurückkommen. Konnte Aya zusehen, wie er sich hier die
Zeit vertrieb.
Aya griff sich den Rasierer und fuhr sich in schnellen Bewegungen über die
kurzen Stoppeln. Er hasste diese Prozedur jeden Morgen wieder ... heute ganz
besonders. Wie er alles hasste. Die Stimme des Deutschen ... dessen
überhebliches Gehabe, diese ganze, gottverdammte Situation!
Wütend beendete er seinen morgendlichen Rundgang im Bad und zog sich in
abgehackten, zornigen Bewegungen an. Wie war das, warum hatte er sich
gleich noch einmal freiwillig fesseln lassen?
Wahrscheinlich waren sie nur gespielt gewesen, die Tränen in den Augen des
Deutschen. Gespielt wie alles an diesem Mann.
Hass stahl sich in seine Züge, umfasste wie ein eiserner Griff sein Herz.
Wie einfach es doch war, sich in ihm gehen zu lassen ... zwischen absoluter
Gelassenheit und Wahnsinn zu stehen. Er brauchte nur einen Schritt zu tun,
und er wäre da, wo er alles hinter sich lassen konnte. Nur einen.
Doch davor schreckte er wie immer zurück. Ging er sogar soweit, dass er nun
wieder die Bambustür öffnete und ins Wohnzimmer kam, seine Züge gewaltvoll
entspannt und ruhig. Mal sehen, was der andere Mann noch für ihn geplant
hatte.
Schuldig hörte wie sich die Tür öffnete und stand auf, legte das Telefon auf dem niedrigen Tisch
ab und verschränkte die Arme, ließ seinen Blick über den Mann vor sich gleiten.
"Soll ich dir was mitbringen? Ich geh was einkaufen, hast ja sicher auch Hunger?!"
Aya hob erstaunt eine Augenbraue. Er wurde gefragt, was er wollte. Na das war ja mal
zuvorkommend ... wie äußerst gnädig. Er und Hunger? Nie. Nicht im Leben. Nichts lag dem
ferner als das, wie sich sein Magen nun beschwerte. Er hatte seit dem gestrigen Tag nichts
mehr gegessen. Wie sollte er da auch Hunger haben ...
Und so begann er mit einem diabolischem Lächeln Schuldig all das aufzuzählen, worauf er
gerade Lust hatte. Mal sehen, was davon ihn schließlich erreichte.
Schuldig hört bei den ersten Dingen wie Sushi und Yaketori noch relativ
aufmerksam zu, doch bei Tee, Schokolade, Schokolade im Keksmantel und
Keksen im Schokomantel und nicht nur die einfachen sondern exquisiten,
machte sich schon Unruhe in ihm breit, doch er hielt auch tapfer das
Grünteeshampoo und das Rose-Orchidee-Duschgel aus, genauso wie die
Jazzpants in neutralen Farben und die warmen Socken.
Allerdings erstaunte ihn die Frauen Reizwäsche in sündigem Rot. Und wie er
das Matchaeis her schaffen sollte wusste er nun auch nicht so genau
momentan.
Weiter wollte er noch eine Schmusedecke, wie er sagte und etwas zum Lesen.
So ging es noch einige Aufzählungen weiter, bis Aya schließlich mit dem
Wort "Bonsai" endete.
Schuldig schaute ungläubig.
"Wie Bonsai?" Wollte er sich hier häuslich niederlassen und deshalb gleich
einmal die Inneneinrichtung auf Fordermann bringen? Schuldig runzelte die
Stirn.
Naja, momentan lebte er ja hier, für wie lange ... das konnte er nicht
beantworten. Also Bonsai, vertagte er das Problem und beugte sich den
Wünschen.
Aya verfolgte mit innerlicher Genugtuung, wie Schuldig ihm an den Lippen hing. Wenn er
wirklich den Bonsai da stehen hatte ... dann.
Dann würde er sich wahrlich ernstliche Sorgen machen.
Er lehnte sich gegen das Sofa, hielt wohlweißlich Abstand zu Schuldig. Er konnte sich
denken, was jetzt kam und nutzte die kurz aufgekommene Heiterkeit, um sich darauf
vorzubereiten ... auch wenn es ihm schwer fiel, das zu akzeptieren.
Aber wenn Schuldig dachte, dass er es ihm dieses Mal so einfach machen würde, hatte er sich
getäuscht ...
"Na schon fertig?" fragte Schuldig
"Wenn ich Glück hab, krieg ich das alles in den Wagen rein", sagte er im ironischen Tonfall und
innerlich amüsierte ihn diese Unterhaltung. "Ich fahr jetzt los und bin dann wieder da, wenn ich
all deine ,Wünsche' erfüllt habe."
Schuldig ging an Aya vorbei und durchquerte den Raum in Richtung Schlafbereich, er stieg die
beiden Stufen hinauf und ging zum Bett, den Schlüssel für die Fesseln herausziehend, der eine
Spezialanfertigung war.
Auch wenn Aya durch den Tonfall des Deutschen von seinem Widerwillen, gefesselt zu
werden, abgelenkt worden war, so kam eben dieses Würgegefühl mit einem Male um ein
Vielfaches zurück, nur um gleich darauf von ihm niedergekämpft und in falscher Fröhlichkeit
ertränkt zu werden. Er würde es dem Telepathen nicht einfach machen ... nein.
Ein kleines Spiel würde auch er sich gönnen ...
Aya veränderte seine Position, brachte die Couch zwischen sie beide. Bevor Schuldig ihn ...
an die Leine legen konnte, würde er ihn einfangen müssen.
Ein amüsiertes Funkeln brach sich in seinen Augen.
Schuldig nahm die Kette mit den Eisenmanschetten und entfernte eine davon, ließ sie auf dem
Bett liegen und kam mit beiden Instrumenten der Fesselung wieder zu Aya zurück, der einen
kleinen, aber feinen Standortwechsel vollzogen hatte.
Die Couch stand zwischen ihnen ... nicht nur das, auch ein belustigtes Aufblitzen in dem Violett,
das ihn unverwandt herausfordernd anblickte, war eine Zeitverzögerung. Er hatte Hunger.
Innerlich mit den Augen rollend neigte er leicht den Kopf. "Und was wird das nun wenn es
fertig ist?" fragte er etwas gelangweilt.
"Ein kleines ,Hasch mich' -Spielchen?"
Ayas Mundwinkel zogen sich zu einem spöttischen Grinsen nach oben. "Meinst du, du
bekommst alles umsonst? So einfach wie gestern Abend mache ich es dir nicht ... also ...
streng dich an." Wollten sie doch mal sehen, wer schneller von ihnen beiden war.
Aya veränderte seinen inneren Moment, balancierte seinen Körper vorsichtiger als zuvor aus.
War bereit, überall hin auszuweichen, sollte der andere Mann angreifen. Lenkte sich somit
von der Tatsache ab, dass er wieder gefesselt werden würde. Er ... gefesselt.
Ayas Augen funkelten dunkel amüsiert.
Schuldig ließ die Kette herunterfallen sodass das andere Ende rasselnd auf dem Boden fiel, hielt
die Manschette jedoch noch in der Hand und lächelte sehr fein, den Kopf neigend.
Er ließ es etwas hin und herstreifen und kam sich deshalb auch wie ein Dompteur, der seine
Raubkatze wieder einfangen wollte, vor.
Nun gut, er würde es schon schaffen, diese Katze zu besiegen und ihr zeigen, wer hier wen
dressierte. Mit einem angetäuschten Rechtsausfall sprang er kurzerhand über die Couch und ließ
die Kette fallen um die Hatz zu beginnen.
Oh ja ... Schuldig gefiel dieses Spiel ... das sah Aya nur zu deutlich. Ihm auch ... merkte er
doch nur zu genau, dass der andere Mann nur angetäuscht hatte und nun auf dem direkten
Weg zu ihm war. Ihn nach links ausweichen ließ. Wie gut, dass er sich mit Schuldigs
Schnelligkeit durchaus messen konnte, wenn es um den Nahkampf ging.
Wenn auch nicht mit dessen Muskelmasse ... das stimmte. Aber das war im Moment auch
nicht wirklich verlangt.
Leichtfüßig wie eine Raubkatze und ebenso tödlich setzte er nach links, war in Momenten
wieder auf der anderen Seite des Möbelstücks. Hob die Hand und krümmte die Finger in
einer einladenden Bewegung.
"Du wirst langsam....", spottete er mit hochgezogener Augenbraue.
Schuldig ließ sich nicht lange ,bitten' und setzte nach. Wie konnte der andere nur so reserviert
und im nächsten Moment so voller Lockung sein? Denn das tat der andere. Er lockte ihn und es
schien Schuldig, als wäre die bevorstehende Fixierung mit der Kette lediglich ein Vorwand für
Aya um ihn herauszufordern. Aber zu was? Wusste der andere nicht, dass Schuldig das
anmachte?
Ein kleiner Adrenalinschub gab ihm die nötige Energie für den nächsten schnellen Jagdeinsatz
hinter dem Blumenkind her, das vor ihm in geschmeidigen Bewegungen flüchtete und da die
Wohnung weitläufig war, konnten sie dieses Spiel sehr lange treiben. Fragte sich nur mit
welchem Sinn, würde Schuldig so oder so der Gewinner sein.
Aya lächelte, als er mit einem weiteren Satz dem Zugriff des Telepathen entwischte. Es war
ja schließlich nicht so, als konnte er nur mit seinem Schwert umgehen.
Nein ... ganz im Gegenteil. Sie alle trugen ihre Codenamen nicht umsonst.
Er wich eine weitere Runde um das Sofa zurück, lockte den Deutschen hinter sich her, genoss
den momentanen Kampf. Auch wenn er schließlich dort landen würde, wo Schuldig ihn
haben wollte, so hatte er doch Widerstand geleistet. Das Einzige, zu dem er momentan in der
Lage war. Doch Schuldigs jetzige Bewegungen zu beobachten, hieß auch sich auf den
Schwarz einzustellen ... eine wichtige Erkenntnis, wenn er schließlich ernst machte.
Jetzt aber spaßte er ... auch wenn er das gierige Glimmen in den grünen Augen durchaus
bemerkte. Schuldig liebte es, ihn zu jagen ... aber wenn er dachte, dass er seine Beute schon
eingefangen hatte ...
Aya pustete sich einige der gelösten Strähnen aus der Stirn, strich sie sich betont langsam aus
dem Gesicht. "Wenn du nicht schneller wirst, kommst du heute gar nicht mehr zum
Einkaufen", lachte er und verengte seine Augen spöttisch.
Schuldig sah das Lachen und hetzte Aya vor sich her, immer weiter in den hinteren Bereich der
Wohnung, der mit gemütlichen Teppichen ausgelegt war, doch zunächst tummelte sich Aya auf
der anderen Seite des Bettes, siegessicher und vor ihm momentan in Sicherheit.
"Wenn ich nicht zum Einkaufen komme, bekommst du auch deinen Bonsai nicht!" grinste
Schuldig. "Und vor mir aus können wir dieses Spiel eine zeitlang machen, hab genügend Energie
um dich früher oder später einzufangen. Und eines garantiere ich dir: Den nächsten Freigang
bekommst du nicht mehr so leicht", lächelte er böse. Doch seine Augen drückten eher den Spaß
in ihm aus, als die wirkliche Boshaftigkeit der Worte.
"So?", spottete Aya, zischte ebenso boshaft wie Schuldigs Worte. Natürlich ... Dennoch wusste
er in dem Moment, dass Schuldig es nicht ernst meinte. Sah es in den Augen des Telepathen ...
auch wenn er sich nicht wirklich sicher war, ob der Schwarz seine Drohung nicht doch wahr
machte.
"Dann werde ich ihn mir eben erkämpfen ..." Leichthin gesagt, meinte er es vollkommen ernst.
Schuldig würde ihn nicht niederzwingen ... mit gar nichts.
Aya wich zurück vom sicheren Bett, brach zur Seite aus, stellte siegessicher nach hinten. Er hatte
gerade einen Blick auf die Umgebung geworfen und die nächste Pflanze ....
"HUARGH!"
... war gerade in seinen Weg geraten. Verschätzt ... er hatte sich verschätzt und fiel nun
armerudernd nach hinten auf den Teppich, der ihn überraschend weich, trotz allem jedoch
höchst schmerzhaft abfederte.
Schuldig, der dicht hinter dem Flüchtenden war, sah das Unausweichliche in Form einer ...
freundlich gesonnenen Pflanze kommen, sagte jedoch nichts und schoss Aya hinterher, der
gerade unelegant einen Abflug machte. Jaa, Schuldig hatte seine Helfer überall und schließlich
war die Flora seiner Wohnung von ihm abhängig und sollte sich mit ihm gut stellen.
"Hab dich", stellte Schuldig lächelnd an Ayas Seite lehnend, leicht über ihn gebeugt fest. Die
Arme neben dessen Kopf abstützend, die Flanke an Ayas Bauch legend um ihn im Notfall mit
seinem Körpergewicht an Ort und Stelle halten zu können. So halb auf ihm liegend besah er sich
seine Beute und malte sich bereits aus, was er mit ihr anstellen hätte können.
"Und was mache ich jetzt mit dir?" schnurrte er, die Augen wie ein Kind strahlend, dass eine
Belohnung erwartete.
Ah ... es tat weh! Sein Rücken, sein nicht gepolstertes Hinterteil ... sein Hinterkopf, alles hatte
unter dem unfreiwilligen Fall gelitten, machte sich nun mit einem wütenden Pochen bemerkbar,
während er den allzu erwartungsvollen Blick des Schwarz mit hochgezogenen Augenbrauen
erwiderte.
Ihm schwante nichts Gutes ...
Nicht, wie ihn der andere Mann fixierte, als sei er ein begehrtes, exotisches Insekt, mit dem er
Versuche anstellen, ihm ein Bein oder auch zwei ausreißen konnte ...
Der rothaarige Weiß würgte sich selbst ab, nicht bereit, diese allzu verräterischen Gedanken
weiter zu verfolgen.
Er war sich dessen Nähe wohl bewusst, jedoch gleichzeitig auch der Tatsache, dass Schuldig
immer noch minimalen Abstand hielt ... Abstand, für den er dankbar war. Aya verzichtete auf
eine unnötige Verteidigung seiner Intimsphäre und blieb bewegungslos liegen.
"Nichts, was mir nicht auch gefällt?", schlug er spöttisch lächelnd vor.
"Mhh was könnte es da geben?" raunte Schuldig in spielerischem Tonfall, als denke er wirklich
angestrengt nach. Sein Blick verband sich mit den violetten Augen, studierte jede Einzelheit und
verlor sich darin. Sein Zopf fiel seitlich nach vorne als er sich dem Gesicht näherte, tiefer in
diesen Augen ertrinken wollte.
"Mir würde da schon etwas einfallen ... eine Kleinigkeit, wenn man es genau sieht ...", sagte er
und näherte sich weiter, war nun dicht über Aya, spürte den Atem.
Sein Blick huschte über die Lippen, die Haut und blieb wieder an den Augen hängen. Einen
Moment gönnte er sich diese Betrachtung und die Ruhe.
"... doch für dich wohl eher eine Absurdität, nicht wahr?" sagte er zynisch. Er löste sich von Aya
nach diesen Worten und setzte sich zurück.
"Ich begnüge mich damit, dass du dich in die Fesseln begibst, bis ich wieder da bin", sagte er
nicht mehr so freudig, denn die Stimmung in ihm war etwas niedergedrückt seit seinen letzten
Worten.
Aya kämpfte sich auf seine Ellenbogen hoch, fixierte den anderen Mann wortlos. In Anbetracht
der Tatsache, dass seine Chance zu fliehen momentan wirklich gegen Null ging, akzeptierte er
den ... 'Vorschlag', richtete sich langsam auf, erhob sich ohne jegliche, hektische Bewegung.
Verzog keine Miene, als sein Hintern sich schmerzhaft bemerkbar machte.
"Was wäre denn die andere Alternative gewesen?", fragte er ruhig, war einfach zu neugierig, um
den angefangenen Vorschlag des Schwarz in den Wind zu schlagen ... auch wenn er das Gefühl
hatte, dass ihm die Antwort darauf nicht gefallen würde, hatte er doch gesehen, wie dieser ihn
für ein paar Moment stumm bemessen hatte. Wie schließlich dessen Gesichtszüge auf zynisch
wechselten. Das machte ihn stutzig ... auch wenn er nicht glaubte, dadurch den Ketten
entfliehen zu können. Noch nicht.
Schuldig war ebenfalls aufgestanden und bereits zu den Fesseln vorgegangen. Er hatte Hunger
und das machte ihn mitunter unausstehlich, wenn sich dieses leere Gefühl im Magen weiter
verschlimmerte. Er nahm die Fessel und kam Aya etwas entgegen, zog eine Augenbraue hoch
und hielt die Manschette samt Kette in der Hand.
"Ein Kuss natürlich", ein zynisches Lächeln folgte auf die belanglos dahingesagten Worte und er
wartete bis Aya näher kam um das schmale Handgelenk in die Manschette zu legen, die er eben
öffnete. "Was dachtest du denn? Einmal Blumengießen?", fragte er um seine doch sehr ehrlichen
Worte mit etwas lächerlichem zu kaschieren.
"Ja natürlich", gab Aya mit mühevoll aufrecht erhaltener Ruhe zurück. Einen Kuss? Was dachte
der andere Mann, wer er war? Dachte er, dass er sich seiner Rolle hier nicht bewusst war. Dass er
darüber hinweg sah, nur ein Gefangener zu sein? Angesichts der allzu präsenten Zeichen, die vor
ihm in der Hand des Deutschen lagen.
Er hatte gedacht, diese kleine Ablenkung hätte ihm helfen können, von dem Kommenden
abzusehen ... es als nicht so schlimm einzustufen. Doch all das, was er zu unterdrücken versucht
hatte, war wieder da. Hass ... Wut ... Ekel vor diesen Fesseln. Vor der Bedeutung dessen.
Aya trat näher, hob jedoch nicht den Arm. Er hatte sich gestern schon nicht gewehrt ... dann
sollte Schuldig heute seinen Teil dazu tun ...
Er lächelte leicht, als ihm schlussendlich ein Gedanke kam ... ob Schuldig darauf eingehen
würde?
"Den bekommst du, wenn ich frei bin", erwiderte er ebenso zynisch und sah auf ... in grüne,
spöttisch funkelnde Augen.
"Einen Kuss und ein Schwert zwischen die Rippen? Am Besten gleichzeitig, das macht die Sache
etwas dramatischer, nicht?" Schuldig nahm die Worte von Aya, wie sie waren: nur dahingesagt,
nicht ernst zu nehmen - zumindest für ihn nicht. Er hatte gesehen, wie der Mann seine Nähe
verabscheute, sie geradezu hasste. Ein Kuss wäre ein zu hoher Preis für Aya, den er niemals
bezahlen würde.
Aya machte keine Anstalten die Hand in die wartende Manschette zu legen, sodass Schuldig das
Handgelenk des anderen nahm und die Manschette darum legte, sie einschnappen ließ.
Er nahm die lange Kette und zog sie durch einen Ring am Boden, welcher früher einmal zu
einem Kunstwerk gehört hatte. Die quadratische Säule, die die Küche optisch etwas vom übrigen
Raum trennte, hatte früher wie der Ring im Boden zu einem Kunstwerk des Vormieters gehört.
Schuldig hatte das scheußliche Ding wegschaffen lassen, die Säule und der Ring waren jedoch
geblieben.
Aya hatte genügend Spielraum um auf die Toilette zu kommen, jedoch keinen um sich frei zu
bewegen und womöglich das Telefon zu erreichen.
Frustriert sah Aya zu, wie der andere Mann ihn erneut ankettete. Er hasste ... nein, er wollte sich
nicht wiederholen. Er wollte es wirklich nicht. Lieber starrte er Schuldig auf den roten, von ihm
weg gebeugten Haarschopf. War sich mit einem Male bewusst, was ihm vorher entgangen war.
Wenn Schuldig so sehr auf ... Körperkontakt bestand, wieso hatte er ihn sich nicht einfach
genommen? Er wurde nicht schlau aus dem anderen Mann. Absolut nicht.
"Ein Schwert?", fragte er schließlich mit einem leichten Lächeln nach.
"Keine schlechte Idee ..."
Oh ja ... zu seinem Schwert würde er wirklich greifen, wenn er hier rauskam. Und dann konnte
Schwarz etwas erleben ... insbesondere Schuldig. So sehr er sich auch dieser Situation in diesem
Moment anpassen musste, so sehr würde er schließlich auf den Kopf des anderen Mannes aus
sein. Dass er ihn bekam ... stand außer Frage.
"Ist das der Grund, warum ich hier bin? Weil du Angst hast, dass ich dich abschlachte ...?
Denkst du, du kannst mich ... läutern?"
Schuldig sah auf und konnte sich ein Lachen nicht verbeißen.
"Abschlachten? Es würde reichen, denke ich, wenn du das Herz triffst. Außer du stehst da drauf,
in meinem dreckigen Blut zu baden, dann würde ,abschlachten' schon passen. Aber da du dir ja
an mir kaum die Hände schmutzig machen willst, ist das eh hinfällig. Es reicht, wenn du mich
tötest. Abschlachten hat immer so einen theatralischen Beigeschmack finde ich", sagte er das
Thema etwas sarkastisch ausführend.
Er stand auf ging zur Couch und nahm das Telefon auf, blickte Aya dabei in das Gesicht,
registrierte das feine Lächeln, das um die Lippen spielte. Wie falsch es ihm doch vorkam. Aya
war kein Mensch, dem ein derartig unechtes und zynisches Lächeln stand.
"Du scheinst zu vergessen, dass weder wir euch noch ihr uns bisher töten konntet. Wie kommst
du auf die Idee, dass es jetzt anders sein würde?"
Und dann wurde er etwas ernster, man ahnte es jedoch nur in seinen Augen und in der Stimme,
seine Lippen zierte jedoch ein winziges abfälliges Lächeln. "Läutern ... dich? Wozu?"
Er wandte sich ab und blickte einen Moment hinaus zum weißen wolkenverhangenen Himmel.
Ja wozu? Warum wollte es ihm keine Antwort geben auf diese Frage: Warum das alles?
"Bisher sind wir auch eine derartige ... skurrile Bindung nicht eingegangen." Ja das stimmte.
Bisher hatten sie sich nur auf dem Feld bekriegt, dass es nun auf eine solche Ebene
übertragen wurde ...
"Bisher mussten wir nicht zu solch ... hinterhältigen Maßnahmen wie Entführung greifen."
Das Lächeln, gerade noch so präsent, schwand von Sekunde zu Sekunde. Reagierte damit
unbewusst auf den Stimmungsumschwung des anderen Mannes. Ja ... wozu läutern. DAS
fragte er sich auch. Wieder und wieder.
"Und wozu mich hier festhalten?", gab er zurück, verschränkte die Arme so gut es ging vor
seiner Brust. Das war ebenso die gleiche Frage ... eine ungelöste Unbekannte, die ihn
verwirrte ... die ihn wütend machte.
Er wollte, dass Schuldig ihm eine Antwort darauf gab, eine ehrliche. Eine, die er für sich
verwerten konnte ... auch wenn er wusste, dass die Chancen darauf verschwindend gering
waren.
Schuldig erfasste ein Schauer als er daran zurückdachte, an das, was sie mit ihm vorgehabt
hatten. Unbewusst verschränkte er schützend die Arme. Ihm war plötzlich kalt.
"Was wolltet ihr mit mir? Wir haben euch in Ruhe gelassen, uns auf andere Gebiete beschränkt,
andere Tätigkeitsfelder. Warum musstet ihr gerade jetzt auf diese Idee kommen?"
Einen leisen Vorwurf barg er in seiner Stimme und wandte sich Aya zu, die Arme immer noch
verschränkt als müsse er sich vor dem Mann schützen, als wäre Aya nicht gefesselt und er noch
in Gefahr. Doch es waren die Gedanken, die ihn ängstigten.
Die Gedanken, die Weiß als Gruppierung hegten, die sie dazu veranlasst haben mussten, ihn
dieser Meute auszuliefern.
"Ich würde den Tod durch ein Schwert dem Leben einer Laborratte vorziehen", sagte er tonlos
den Blick in das Violett vor sich richtend.
"Wir haben unsere Regeln, Ran", sagte er ruhig, nannte den Weiß Killer zum ersten Mal mit
seinem Namen, war sich dieses Punktes jedoch nicht bewusst, war zu sehr in Gedanken
versunken.
"Ich habe sie verletzt ... indem ich Crawford gesagt habe, dass ich mich um dich kümmern
würde. Wenn ich dich freilasse ist klar, dass du es auf mich abgesehen hast. Dass ihr mich wieder
jagen würdet. Nicht weil ich euer Gegner bin, sondern weil ihr mich in einen Käfig stecken wollt
um in meinem Gehirn herumzustochern. Das werde ich nicht zulassen. Und wenn ich sie daran
hindern kann, indem ich dich hier festhalte, dann werde ich das.
Das ist im Moment der einzige logische Grund der mir dazu einfällt. Der andere ... nun, den
kenne ich selbst noch nicht genau, aber ich weiß, dass es nicht der einzige Grund ist und er
hängt damit zusammen, dass ich deinen Tod nicht wünsche. Ganz im Gegensatz zu dir. Ich
weiß, dass du mich hasst. Schön und gut. Aber ich lasse es nicht zu, dass ich wieder ...", er
verstummte. "Dass deine Leute ihre Finger in meinen Kopf stecken und darin herumwühlen. Sie
würden sowieso nichts finden."
Wie auch schon am Tag zuvor verstörte Aya die schutzbedürftige, so ängstlich erscheinende
Haltung des anderen mehr als das, was er ihm offenbarte. Doch dass der Telepath ihn bei
seinem richtigen Namen nannte ... wie sollte er mit Wut darauf reagieren?
So wie er es bei seinem Team, Manx oder Birman tat? Wie sollte er dieser Verzweiflung mit
Wut begegnen können? Wie sollte er diesem ehrlichen Blick mit etwas anderem als
quälender Ratlosigkeit begegnen?
"Ich habe nicht die geringste Ahnung, was unsere Auftraggeber letztendlich von dir wollten
... wir führen nur ihre Befehle aus ... du weißt selbst, dass wir uns nicht weigern können, es
sei denn, wir riskieren unser eigenes Leben ... wir können uns nicht weigern, egal, wie
abscheulich wir ihre Praktiken auch finden mögen", erwiderte er leise. Kopfschüttelnd.
Ehrlich. "Und sie werden sich nicht davon abhalten lassen, dass ich fehle ... jeder ist
ersetzbar. Sie werden Weiß schicken, und wenn das nicht reicht, andere Teams. Stärkere
Teams ... es hilft dir gar nichts, wenn du mich hier festhältst ..."
Aya stockte nun seinerseits, ließ die Wortes des anderen Mannes auf sich wirken. Erkannte
schlussendlich die Bedeutung hinter ihnen.
"Du wirst mich nicht freilassen ... oder?", fragte er beinahe unhörbar, für einen Moment
deutliches Entsetzen in seinem Blick. Nur für einen, minimalen Moment. "Das hattest du von
Anfang an nicht geplant ..." Für einen kleinen ... langen Moment. Ayas gefesseltes
Handgelenk verkrampfte sich, zog unwillkürlich an seiner Fesselung. Das, was er befürchtet
hatte, hatte Schuldig ihm nun bestätigt ... hatte ihm den Zeitraum definiert. Für immer. Falls
es ihm nicht gelingen sollte zu fliehen. Für immer. Gott ...
Schuldig lächelte etwas hilflos und wandte sich wieder ab, ging um die
Couch herum.
"Du hast Recht. Geplant habe ich wirklich nichts. Überhaupt nichts. Weder,
dass du nun hier bist, noch, dass ich dich für immer hier behalte, dich
töte oder gar freilasse. Ich kann nichts planen. Meine Entscheidungen
treffe ich größtenteils spontan, über die Konsequenzen denke ich selten
nach, dazu habe ich keine Lust, keine Zeit, was auch immer ..."
Er machte eine wegwerfende Handbewegung und zuckte mit den Schultern.
"Wer weiß, vielleicht kannst du ja fliehen, irgendwann, wenn ich nicht
aufpasse, oder du hängst deine Hoffnungen an den seidenen Faden, mich in
einen unbedachten Moment hinterrücks zu töten. Die Frage ist, ob du es
kannst. Ob du mich ermorden kannst." Ruhige Worte, die nicht seine wahren
Gefühle offenbarten. Aber er selbst hatte sie in diese vertrackte Lage
gebracht, um Ayas Leben zu bewahren. War es nicht so?
Er selbst setzte sich der Gefahr aus, hatte seinen Feind sehr nahe bei
sich, weil er ihn geschont hatte?
Jeder, der dies hörte, würde ihn für verrückt erklären. Nun, vielleicht
hatten sie Recht. Normal war er bestimmt nicht ...
Für einen Moment war es, als wallte Schmerz in Aya hoch. So gewaltig und erdrückend, dass er
sich nicht unter Kontrolle hatte. Dass man ihm eben diese Verletztheit genau ansah. Er wusste,
wenn es ihm nicht gelänge, dem anderen Mann zu entkommen, dass dieser es von seinen Launen
abhängig machen würde, ihn freizulassen oder hier festzuhalten ... wie es ihm passte, worauf er
gerade Lust hatte.
Aya wartete auf die Wut, die ihn von dem Schmerz erlösen würde ... die es ihm erleichtern
würde, sich dem Deutschen zu stellen und dennoch ... wollte sie sich nicht einstellen. Er schaffte
es nach ein paar Momenten, seine Gesichtszüge wieder unter seine Kontrolle zu bringen, ja.
Doch das löschte die Panik angesichts der Worte des Telepathen nicht aus.
"Und was denkst du, macht dich besser als diejenigen, die dir das Hirn aufgeschnitten haben?",
fragte er leise, mit mühsam unterdrücktem Zittern. "Was denkst du, erlaubt dir, GOTT zu
spielen? Was denkst du, ist mehr Gnade ... Leben zu vernichten oder einzusperren? Ich wäre
lieber GESTORBEN, als hier den Rest meines Lebens zu verbringen!"
Schuldig wirbelte herum, die Augen spiegelten Wut, Unverständnis und auch
Verletztheit aus, über das verbohrte Verhalten, welches ihm hier
entgegenschlug.
"Hätte ich dich denn verrecken lassen sollen?", platzte er heraus und seine
Augenbrauen zogen sich gewittrig zusammen.
"Dein großkotziges Gehabe ist ja nicht auszuhalten! Du wärst also lieber
gestorben! Ja? Und was ist mit deiner Schwester dann? Kannst du mir das
erklären? Du hättest sie also wegen deines Stolzes und deiner Verbohrtheit
im Stich gelassen? Den Rest deines Lebens? In diesem Job kann das verdammt
kurz sein, was bist du? Ein Anfänger?"
Ihm war momentan egal ob er den anderen damit verletzte oder noch weiter
gegen sich aufbrachte, er verstand das Verhalten und die Wut, aber er
verstand nicht, wie man sich lieber den Tod wünschte konnte, als eine
relativ faire Behandlung und die Aussicht auf eine Möglichkeit zur Flucht.
"Du hast deine Schwester, verdammt!" wütend funkelte er den Anderen an.
"Deine Ansichten sind dermaßen egoistisch ... , " er verstummte und ging
zur Tür.
"Und was Gott angeht, ich glaube da können wir uns beide einig darüber
werden, dass wir BEIDE oft genug GOTT spielen. Nur weil es dich jetzt
getroffen hat, brauchst du jetzt nicht anfangen dein Recht einzufordern.
Ich bin ein Killer. Du bist das Opfer.
Dummerweise hat es nun dich erwischt. Ich an deiner Stelle wäre froh, wenn
ich noch leben würde, so könnte ich mir einen Plan überlegen, wie ich hier
rauskommen könnte um zu meiner Schwester zu gelangen. Aber nein, DU und
dein Stolz und dein Hass lassen dich sie vergessen." Er öffnete die Tür und
ging. Er war so wütend.
Aya hatte seine Schwester. Er würde weiß Gott was für jemanden geben, der
auf ihn wartete, auf ihn angewiesen wäre, aber nein, dieser egoistische
Bastard heulte hier herum, anstatt sich auszuruhen und die Gunst der Stunde
zu nutzen. Einfach so gehen lassen konnte er ihn nicht, aber er hätte es so
arrangieren können, dass Aya mehr aus Zufall fliehen hätte können. Aber
noch war es nicht so weit, noch war es zu früh.
Innerlich vor Wut bebend machte er sich auf nach unten um seinen Wagen zu
holen, er musst sich jetzt ablenken, bevor er noch jemanden platt machte.
Ayas Zorn machte dem des Telepathen durchaus Konkurrenz, als er mit einem Wutschrei an der
Kette riss, sein gefangenes Handgelenk zornig nach vorne ruckte. Er wollte dem anderen Mann
die Kehle herausreißen für das, was er gesagt hatte ... er wollte ihn töten dafür, dass er es wagte ...
... ihm die Wahrheit zu sagen. Doch wie so oft auch tat die Wahrheit weh. Sie schmerzte.
Natürlich war sich Aya bewusst, dass er seine Schwester hatte ... natürlich wollte er sie wieder
sehen ... natürlich wollte er miterleben, dass sie wieder aufwachte, aber NICHT zu diesen
Konditionen ...
Was ihn jedoch auch das hören ließ, was Schuldig nicht sagte. In Anbetracht der Tatsache, dass
er sein Leben hier verbringen sollte, hatte sich der Schwarz doch sehr dafür ausgesprochen, dass
er auch für sie sorgte. Wie sollte er das denn tun, wenn er hier festsaß?
Oder hatte Schuldig durchaus Recht mit dem gehabt, was er ihm so wütend an den Kopf
geworfen hatte? Dass er ... anstelle rumzuheulen ... lieber die Gelegenheit nutzen sollte, um zu
fliehen? Um seine Flucht vorzubereiten? Als wenn man ihm das sagen musste! Als wenn Aya
sich dessen nicht bewusst war, verdammt!
Der rothaarige Mann grollte frustriert, riss ein weiteres Mal an den Fesseln, ließ die Kette
anspannen und erbost klirren. Wie wäre es, wenn er jetzt schon anfing damit, sich einen Plan
auszudenken ... zumindest zu versuchen, die Ketten aus der Verankerung zu lösen ...
Doch Aya wusste selbst, wie sinnlos das war. Sie saßen fest, ebenso wie er auch. Und er musste
sich zusätzlich noch seinen quälenden Gedanken stellen. Hatte er sie wirklich vergessen? Die, für
die er all das geopfert hatte? Hatte er sie hinter sich gelassen im Namen der Rache? Oder hatte er
es einmal gewagt, nur an sich zu denken, nur um daran erinnert zu werden, dass sein Leben eben
nicht ihm, sondern Aya galt? Der Reinen ... seinem Gegenpart?
Hatte Schuldig Recht? Aya wusste es nicht. Er WEIGERTE sich schlicht, darüber
nachzudenken. Lieber verschränkte er zitternd vor Zorn und Hass seine Arme, starrte hinaus auf
den mittlerweile dunklen Himmel. Das würde Regen geben ... und Gewitter.
Mochte Schuldig doch vom Blitz getroffen werden!
o~
Die Wut verrauchte mit den Minuten die verstrichen. Ließ Aya wieder ruhiger
werden, auch wenn sein Blick immer noch frustriert auf der Manschette ruhte.
Auf dem eisernen Ring an seinem Handgelenk ... aber wenigstens war Schuldig
so ... freundlich gewesen und hatte ihm Spielraum gelassen ... an die lange
Leine gelegt.
Aya tigerte unruhig auf und ab. Maß akribisch genau die Länge ab. Acht große
Schritte, zwanzig kleine, vierunddreißig noch kleinere ...
Er ging zur Säule und starrte das hässliche, unförmige Ding in Grund und Boden.
Schlang sich die Kette um eine Hand und stemmte sich gegen das Eisengestänge.
Brachte seine ganze Kraft auf nur um zu scheitern, um wie bei der Tür feststellen
zu müssen, dass Schuldig alles gut durchdacht hatte und ihm natürlich nicht die
Chance ließ, sich hiervon zu befreien. Aya fluchte ungehalten. Wenn Schuldig
wiederkam ... Aya ließ das Thema abrupt fallen, wandte sich dem Fenster zu.
Das aufziehende Gewitter machte ihn nervös, auch wenn er nicht genau wusste,
warum. Ließ ihn sich schließlich frustriert auf den Boden setzen, aus
Ermangelung einer nahen Sitzgelegenheit. Wenn er wollte, konnte er zum Waschbecken.
Na sowas. Aber sitzen ... das ging ja nicht. Das wäre ja zu großer Luxus gewesen.
Seine Hand spielte unbewusst mit der Kette, mit den rasselnden Geräuschen,
die sie erzeugte, als er seine Hand gelangweilt gegen die nahe gelegene
Säulen schlagen ließ. Einfach nur, um die Stille zu vertreiben. Die
windreiche, komplette Stille, die ihn umgab.
Sonst Balsam für seine Seele ließ sie ihn nun gereizt werden ... gereizt und
frustriert, dass Schuldig es wagte, ihn zu entführen ... ihn wie ein Haustier zu
behandeln. Nein ... schlimmer als das.
Ausdruckslos starrte er auf die hastig vorbeiwallenden Wolken, verlor sich
für ein paar lange und doch zu kurze Momente in ihnen, bis er nicht mehr hinsehen
konnte. Bis er keine Lust mehr hatte zu starren. Er zog die Beine an, legte seinen
Arm auf die Knie. Wippte mit der Kette. Den kompakten, stabilen Gliedern. Sein
Gesicht verzog sich vor Ekel.
Sollte Schuldig ihm auch nur die Gelegenheit zur Flucht lassen ... er würde
sie ergreifen und nicht nur das. Niemand demütigte ihn auf diese Art und
Weise. Niemand.
Auch wenn es jetzt einer gewagt hatte.
Ayas Blick schweifte ab, bevor er schließlich seine Augen schloss. Alles
aussperren ... nur ausblenden, was geschehen würde. Ausblenden, dass er -
zugegeben - wartete. Darauf wartete, dass er von diesem verdammten Ring
wieder loskam.
o~
Nackte, feuchte Haut, die sich in schmeichelndem Licht seiner hingab. Er spielte
auf diesem Körper wie auf einem Instrument, entlockte ihm die feinsten Töne.
Seine Hand hielt ihre Hüfte, während die andere ihr Bein anhob.
Ihr Körper bog sich ihm entgegen, gespannt wie eine Saite, erwartete ihn mit zur
Schau gestellter Ungeduld - einem Zittern.
Ihre Gedanken pur, rein, roh stachelten ihn noch mehr auf, als es ihr Körper
ohnehin schon tat.
Doch wenige Sekunden darauf verwischte alles Denken und er drang in sie ein.
,Sie hat ihn vermisst' las er in den Gedanken ihres Mannes, der ihren Kopf in
seinem Schoß hielt, ihr Haar welches über seine Erregung strich.
o~
Es war dunkel. Das sagte sich Aya wieder und wieder. Schuldig war im Hellen
gegangen und nun war es dunkel. Immer noch gewittrig, aber dunkel. Und er
wusste nicht, wie spät es war, fand er doch keine Uhr, die es ihm hätte
sagen können. Nichts ... nur das Rauschen der Bäume und sein Schlagen. Die
Geräusche, mit denen er sich seine Langeweile vertrieb ... denn ... mittlerweile
hatte er wirklich Langeweile. Quälende, ätzende, ihn wütend machende
Langeweile.
Er war hier zum Nichtstun verdammt, nur weil Schuldig meinte ... aber nein. Er
würde nicht schon wieder damit anfangen, hatte er das Thema in den letzten
Stunden doch noch genug durchgekaut. Wieder und wieder und wieder. Schuldig.
Schuld. Langeweile. Wut. Immer wieder.
Aya ließ seinen Kopf gegen die Säule zurückfallen. Ihm war schlecht, solchen Hunger
hatte er. Hunger und Durst, auch wenn er zu faul war, sich zum Waschbecken zu
kämpfen und zu trinken. Als wenn Schuldig ihm Mineralwasser hier gelassen
hätte ... nein, das wäre ja zu gnädig gewesen.
Sein Magen grollte erbost, als ihn eine weitere Welle des Hungers durchfuhr.
Er konnte wetten, dass Schuldig das extra machte. Ihn quälen ... sehen, wie
lange er wegbleiben konnte ... das machte er wirklich mit Absicht.
Was die Ruhe in Aya völlig zerstört hatte. Er hasste wirklich. Beißender,
greller Hass auf den anderen Mann. Der ihn sogar zittern ließ ... oder war es
die Kälte, die sich nun im Loft ausgebreitet hatte? Denn das war es hier.
Kalt.
War die Heizung nicht an? Er wagte es zu bezweifeln. Was hätte Schuldig auch für
einen Grund gehabt, die Heizung anzustellen? Kostenverschwendung, ja, das wäre es
gewesen. Es war ja schließlich nur er, der fror.
o~
Hitze durchströmte ihn wie ein zäher Lavastrom, und er ergab sich ihr, bis grelles
Licht hinter seinen Augen explodierte, und er erschöpft auf dem Mann niedersank. Er
in den Streicheleinheiten des Pärchens wieder ertrank, wie er es schon einige Male
zuvor getan hatte.
Zeit war hier kein Maßstab. Hier zählte nur Lust und Gier. Das Verlangen diese Gier
zu stillen, nie genug davon zu bekommen.
o~
Aya lehnte seinen Kopf an den kalten Boden. Auch wenn er sich aufgesetzt
hätte ... es hätte nichts gebracht. Er fror. Ihm war übel und er hatte
Magenkrämpfe vor Hunger. Er lag zwar schon im Badezimmer ... hatte schließlich auch
Wasser getrunken, doch das half nichts gegen die Schmerzen, derer er nicht Herr
wurde. Schuldig war gestern nicht mehr zurück gekommen.
Schuldig war auch in der Nacht nicht wiedergekommen. Schuldig war auch jetzt
noch nicht da und es war schon Mittag. Zumindest glaubte er das. Er hatte
sich verloren in Zeit und Unwohlsein.
Er wusste ... Schuldig tat das mit Absicht. Er wusste es ganz einfach. Der
andere Mann wollte ihn quälen. Wie war das ... er sollte leben? Er sollte froh
sein, dass Schuldig ihn 'gerettet' hatte? Wozu? Damit der andere Mann ihn
selbst vernichten konnte? Verhungern, verdursten oder erfrieren lassen? Eines davon
konnte er sich aussuchen und ein morbider Teil in Aya schloss Wetten ab, was es
denn sein würde.
Hätte Aya es noch gekonnt, so hätte er gelacht, lauthals. Doch so ... tat er
gar nichts. Er hatte resigniert. Nach Stunden der Suche nach einer
Fluchtmöglichkeit. Nach Stunden der nochmaligen Untersuchung der Manschette ... die
ihm nur wieder aufgezeigt hat, wie hilflos er war. Dazu hätte er nicht versuchen
müssen, den Ring aus dem Boden zu reißen. Das hätte er nachher auch so
gewusst.
Auch so. Ohne neuerlichen Schmerz. Ohne Blut. Auch so.
Auch so wusste er nun, dass er warten würde ... bis er verhungert war. Bis
Schuldig zurückkam und sich daran aufgeilte, was er getan hatte. War der
andere Mann stolz auf sich? Seinen Gegner so zu schwächen? Anscheinend
schon ...
Aya krümmte sich unter einer neuerlichen Welle des Schmerzes zusammen und presste
die Lider aufeinander. Stöhnte schmerzvoll auf und presste seine Hände gegen den
Bauch. Ich verfluche dich, Schuldig, tönte es hohl in ihm. Verfluche dich auf den
Tod.
o~
Ermattet lag er zwischen den Leibern, genoss noch immer ihre geistige Verbindung,
ihre sanften, klaren Gedanken, die ihn umflossen wie ihre Leiber.
Er schloss die Augen und ein genießendes Lächeln breitete sich auf den befreiten
Zügen aus. Er hatte diese Auszeit schon lange nicht mehr genommen, doch es war
wieder nötig gewesen. Sein Körper hatte es ihm gesagt und nicht nur seine Gedanken,
die er hiermit nun zum Schweigen gebracht hatte. Ruhe und Ausgeglichenheit
herrschten in ihm vor. Seine Hände gingen wieder auf zärtliche Wanderschaft, kosten
feste Muskeln, weiche Rundungen, sanftes Lächeln und seidiges Haar.
o~
Es ging nicht mehr. Er hatte keine Kraft mehr. Keine Kraft, um noch gegen
sich selbst zu kämpfen. Sein Körper hatte das Regiment übernommen. Ihm
gezeigt, dass er nichts weiter als der Sklave seines Fleisches war,
verhungernd, verdurstend. Nicht mehr im Stande, sich zu erheben. Er
zitterte ... ihm war kalt. Er hätte sich übergeben können ... mehrmals sogar. Wenn
er noch die Kraft dazu gehabt hätte. Doch selbst das blieb ihm versagt.
Aya fühlte sich widerlich ... schmutzig. Verschwitzt und dennoch eiskalt. Es
war so kalt ... so kalt ...
Er schloss die Augen. Was für ein Ende ... er lächelte bitter. Und da sagte
noch jemand, er solle doch um sein Leben kämpfen. Aber manchmal war das
Leben eines Killers wirklich kurz ... da hatte Schuldig Recht gehabt.
Ihm wurde bewusst, dass er selbst mit offenen Augen nichts mehr sehen konnte. Alles
war schwarz um ihn herum ... nichts war mehr positiv ... alles war Schwäche,
Schmerz ...
Es war das Ende.
Fortsetzung folgt ...
Vielen Dank fürs Mitlesen!
Coco&Gadreel