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Drei Haselnüsse sind nicht genug

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Erst einmal tut es mir leid, dass der Epilog so spät kommt. Die Arbeit hat mir wenig Raum für Kreativität gelassen. Vielen Dank für eure Geduld :)

Der Epilog ist zum Teil etwas anders als sonst, aber es ist ja auch ein Epilog und ich hoffe ihr habt trotzdem Spaß beim Lesen ;)

Ein Danke an alle bisherigen Leser! ^^ Komplett anzeigen

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Epilog
 

POV Vinzek
 

Der Wandel bei Hofe war wie ein Paukenschlag. Oder ein Gewitter, denn es war stürmisch und sicher nicht schnell vorbei.

So wurden erst einmal alle Bewohner und Bediensteten befragt, jede Ecke durchsucht und die Felder genauestens betrachtet und bewertet.
 

Aschenbrödel, jetzt Alena, übernahm als neue Herrin die Leitung und half den königlichen Gehilfen so gut es ging. Es war nicht unbedingt ihr Wunsch gewesen, aber ihr Verantwortungsbewusstsein und ihr Gerechtigkeitssinn sorgten dafür, dass sie keine Sekunde zögerte, als ihr die Aufgabe übertragen wurde. Mit einer, für die Berater des Königs überraschenden Freundlichkeit und Entschlossenheit machte sie sich an die Arbeit. Eine Arbeit, die ihr noch unbekannt war. Denn so viel sie auf dem Gut auch gearbeitet hatte, so waren finanzielle und schriftliche Aufgaben ihr doch eher unbekannt. Und hätte sie nicht als Kind Lesen und Schreiben gelernt, wäre sie wohl noch hilfloser gewesen. So verschwand sie tagelang mit den Beratern im Arbeitszimmer, fragte nach und holte alle, die ihr helfen konnten, zur Unterstützung heran.
 

Dass sie ein gewisses wirtschaftliches Geschick besaß, wurde bald sichtbar, ebenso wie ihr Talent die richtigen Menschen für die richtige Arbeit um Hilfe zu bitten. Erste Steuern wurden zurück gezahlt, die Ausrüstung bei Hofe verbessert und das Essen für die Mitarbeiter reichlicher und besser. Wann immer sie glaubte, dass etwas übrig sei, gab sie es den Menschen. Zu ihrem Glück war der Hof reich an Ernte und Land und sie konnte ihrem Bedürfnis nach Fürsorge und Gerechtigkeit nachgehen. Auch dass es nicht ihre Schuld gewesen war und der Prinz sie vor dem König unterstützte, waren hilfreich.
 

Vinzek wurde zum stellvertretenden Berater ernannt. Eine Position, die ihn tagelang vor Freude strahlen ließ, egal wie häufig er versucht hatte, Alena von der Idee abzubringen. Was sollte schon ein einfacher Knecht wie er mit solch einer Verantwortung anfangen?
 

„Aber“, hatte sie ihn erinnert, „du weißt, dass wir alle kaum Erfahrung in solchen Positionen haben. Der engste Berater von meiner Stiefmutter wurde ebenfalls festgenommen und du weißt am meisten über das Gut von uns allen. Bitte, Vinzek.“
 

Sie bestand zudem darauf, dass er sie bei ihrem Vornamen nannte und nicht mit ‘Herrin’ ansprach.
 

„Du warst wie ein Vater für mich, als ich einen brauchte und keine Familie hatte, Vinzek. Du bist es auch immer noch und ich möchte nicht, dass sich das ändert. Ist das für dich in Ordnung?“
 

„Mein Kind!“
 

Lachend fiel sie ihm um den Hals. Für sie war er kein dreckiger und armer Knecht. Für sie war er ihre Familie.
 

„Ich habe übrigens doch noch einen Wunsch, Vinzek.“
 

Der Schalk in ihren Augen entging ihm nicht.
 

„Wie viele Wünsche hast du denn schon aufgebraucht?“
 

Als ob er das nicht auswendig wüsste!
 

Doch sie ignorierte ihn und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern herab.
 

„Ich wünsche mir, dass du diesen Hof führst, als wäre es dein eigener, Vinzek.“
 

Vinzek blieben die Worte im Hals stecken. Alena musste lachen, so verwirrt sah er aus.
 

„Es ist sowieso mehr dein Hof als meiner. Du hast mehr Arbeit in ihn gesteckt, als sonst irgendjemand. Und ich werde bald weggehen und brauche jemanden, der für mich den Hof führt. Ich möchte nicht, dass irgendein weit entfernter Onkel ihn bekommt oder ein anderer Adliger ihn an sich reißt. Würdest du ihn übernehmen? Ich habe mich bereits darüber informiert, ob das funktioniert.“
 

„Du gehst weg?“
 

Ein breites Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und Vinzek ahnte bereits, was als Nächstes kommen würde.
 

„Ich werde Filip heiraten.“
 

Als wäre er kein Prinz, so sprach sie von ihm. Und vielleicht war er es für sie auch nicht. Zumindest war das nicht alles von ihm.
 

„Wir haben seine Eltern endlich davon überzeugt, dass ein Skandal bei einer heimlichen Hochzeit viel schlimmer wäre, als wenn sie uns offen und ehrlich ihren Segen geben.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Alternativ könnte ich auch schon frühzeitig schwanger werden, aber die Idee hat dafür gesorgt, dass die Königin beinahe in Ohnmacht gefallen wäre.“
 

Vinzek musterte die kichernde Frau vor ihm misstrauisch. Hatten sie etwa . . . Ein schelmischer Blick sagte ihm mehr, als er je hätte wissen wollen. Diesen Teil der Vaterschaft hätte er wahrlich gerne übersprungen. Sein eigener Sohn würde ihm da noch genügend Sorgen bereiten.
 

„Seid vorsichtig“, war alles, was er herausbrachte.
 

„Keine Sorge!“
 

Sobald sein Hals wieder frei war und sein Gesicht sich weniger warm anfühlte, wagte Vinzek es endlich, weiter zu sprechen.
 

„Ich freue mich für euch, Alena. Dich glücklich zu sehen ist ein Wunsch, den ich seit Langem hege.“
 

„Danke“, sie strahlte offene Freude aus, für einen Moment alles andere vergessend. Aber nur für einen Moment: „Auf jeden Fall werde ich zu Filip ziehen. Es gibt ein Anwesen, welches wir beziehen können, um nicht mit seinen Eltern zusammenzuwohnen. Er wird zwar immer wieder zum Schloss reiten müssen, um seinen Pflichten nachgehen zu können, aber wir werden unsere Ruhe haben. Und unseren Platz. Filip hat mir versprochen, dass wir genügend Platz zum Jagen und Reiten haben werden. Außerdem werde ich immer wieder hierher kommen.“
 

„Das Gut gehört dir ja doch.“
 

„Genau. Aber weil ich nicht andauernd anwesend sein kann, bitte ich dich und wünsche ich mir, dass du dieses Gut führst wie dein eigenes. Deine Kinder sollen dasselbe Recht erhalten und für alle Zeit versorgt sein.“
 

Vinzek schluckte. Das war eine große Ehre, aber auch eine große Verantwortung.
 

„Keine Sorge“, warf Alena ein, bevor er etwas sagen konnte, „ich komme regelmäßig vorbei und werde mit dir das nächste Vorgehen besprechen. Ich werde mit dir die Felder begutachten und bei Fragen werden wir gemeinsam entscheiden.“
 

Das klang zumindest etwas entspannter. Entspannter und . . . schön. Er würde kein dreckiger Knecht mehr sein, der seine Familie kaum ernähren konnte. Nein, seine Entscheidungen, seine Meinung, würden endlich etwas zählen.
 

„Aber meinst du denn, dass die Haselnüsse solch einen großen Wunsch erfüllen können, Alena?“
 

Wieder lachte sie auf, ein unglaublicher Schalk in den funkelnden Augen: „Kein Wunsch ist zu groß, wenn der gütige Vinzek es sich in den Kopf gesetzt hat, ihn zu erfüllen. Mit oder ohne Hilfe des ganzen Hofes.“
 

Ihm stockte der Atem. Wusste sie etwa davon? Hatte sie es immer gewusst?
 

„W...“
 

Doch weiter kam er nicht, denn Alena beugte sich vor und gab ihm eine weitere, feste Umarmung.
 

„Danke, dass du mich immer als Kind gesehen hast, anstatt als Magd. Danke.“
 

Und mit schwingenden Schritten ging sie Richtung Stall, während Vinzek nicht wusste wohin mit all seinen Gefühlen.
 

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Die Neuigkeit, dass die leibliche Tochter des ehemaligen Herrn von Novák nicht verstorben war und inzwischen die Führung übernommen hatte, verbreitete sich rasend schnell. Sie sorgte auch dafür, dass mit einem Mal Gäste von nah und fern das Gut besuchten. Manche wollten wissen, wer diese junge Frau war, andere hatten sie bereits als Kind gekannt.
 

Alena empfing die meisten mit einer kühlen Höflichkeit. Sie wusste, dass sich kaum jemand für sie interessiert hatte, als sie mit einem Mal eine Waise gewesen war und dass auch niemand die Erklärung ihrer Stiefmutter hinterfragt hatte. So manch einen hatte sie sogar in den vergangenen Jahren gesehen, wenn sie zu Besuch gekommen waren. Doch niemand hatte sie auch nur für einen Moment wahrgenommen, sondern sie immer nur als Magd gesehen.

Natürlich war das die Art der Adeligen und natürlich hatte sich niemand für neunjähriges Waisenkind interessiert. Doch das bedeutete nicht, dass Alena sie jetzt in ihr Herz schließen musste. Oder sich wie ein besonderes Gemälde betrachten lassen musste. Sie war freundlich zu den Menschen, die sie auf dem Weg unterstützt hatten, die keinen Einfluss auf ihr Leiden gehabt hatten und die selbst häufig genug unter dieser Art Herrschaft litten.

Aber die Adeligen? Die würden ohne ihre Herzlichkeit auskommen müssen.
 

Trotzdem riss der Strom der Besucher nicht ab, sondern wurde umso schlimmer, als bekannt wurde, dass sie mit dem Prinzen verlobt war. Nun war sie eine noch wunderlichere Attraktion, denn wie konnte solch eine Frau, ehemals Magd, jemanden wie den Prinzen verführen? Andererseits war ihnen allen der Prinz schon das ein oder andere Mal als wunderlich aufgefallen. Und war dies nicht nur ein weiterer Beweis?
 

Als aber das Gerücht aufkam, dass Alena die Unbekannte vom Ball war, schien alles wieder klar zu sein. Er konnte ja nicht anders, als sie zu heiraten. Oder?
 

Vinzek konnte nur den Kopf schütteln bei all den Gerüchten und Vermutungen, die verstreut wurden. Häufig genug wurde er selbst, als neuer Herr von Gut Novák damit konfrontiert, wenn die Besucher erkannten, dass er ehemals ein Knecht gewesen war und auf Grund dessen ihre Vorsicht fallen ließen.

Er schwieg stoisch, seine Loyalität zu Alena und Filip zu groß, um sich auf solch ein Verhalten herabzulassen. Was zunehmend schwieriger wurde, als ihnen Dora, nach einer kurzen Zeit im Kerker, als niedere Gänsemagd zugewiesen wurde. Dies sollte ihre Strafe sein, verbannt an den Hof, an dem sie selbst tyrannisch geherrscht hatte. Aber es steigerte auch die Neugierde der Nachbarn ein weiteres Mal und diesmal fiel es Vinzek schwer, keinen Kommentar über sie fallen zu lassen. Oder ihre Arbeit. Denn nach gut zwei Wochen hatte sie bereits drei Gänse verloren, ein Küken zu Tode getreten und mehrere an den Fuchs verloren. Dass sie regelmäßig von den Gänsen selbst gejagt wurde, war noch das kleinste Problem. Er wusste nicht, was für eine Aufgabe er ihr noch geben sollte, ohne auf ihre eigenen Verhaltensweisen gegenüber Alena zurückzugehen.
 

Seine einzige Beruhigung war, bei allem, dass Markéta Nováková nicht auch noch an das Gut überstellt wurde. Nein, sie musste ihre Strafe im Kerker absitzen und wurde nur dank Alena nicht an den Galgen gebracht. Stattdessen bestand ihre Aufgabe bald darin im Kerker das Essen zu kochen, und an die anderen Gefangenen zu verteilen. Bei gutem Benehmen würde sie eventuell sogar außerhalb des Kerkers arbeiten können. Sie würde jedoch niemals wieder ein Gut führen oder mehr tun, als zu putzen und zu kochen. Auch wenn Vinzek ihr Essen niemals anrühren würde.
 

Er verspürte bei dem Gedanken eine Genugtuung, die nichts anderem gleichkam. Denn während er dafür sorgte, dass die Menschen auf Gut Novák endlich genug zu essen bekamen, ihre Hütten ausgebessert wurden und eine neue Art der Zusammenarbeit entwickelten, würde die alte Tyrannin genau das erleben, was sie anderen angetan hatte. Ohne den zusätzlichen Betrug an Alena und dem Königreich.
 

Erst als Alena Filip heiratete und auf ein nahegelegenes Anwesen zog, wurden die Neugierigen und Besucher weniger. Vinzek als ehemaliger Knecht hatte zwar noch seinen Reiz, aber beileibe nicht denselben wie Alena als ehemaliges Aschenbrödel.
 

Das war Vinzek nur recht, denn so konnte er sich endlich hauptsächlich um den Hof kümmern, anstatt regelmäßig die richtigen Worte finden zu müssen, damit ihn seine Gegenüber überhaupt verstanden.
 

Die Jahre zogen ins Land und es war wie ein neues Leben. Als würden sie jetzt erst aus einem langen Winter erwachen und endlich die Sonne und den Frühling entdecken. Und dabei war noch längst nicht alles einfach. Aber es war besser. Freundlicher. Leichter. Heller. Und voller Lachen.
 

Schon bald wurde es zur Tradition, dass Alena mindestens zweimal die Woche auf Nikolaus zum Gut geritten kam. Erst alleine oder mit Filip, dann mit ihrer Tochter, später mit einem oder sogar allen drei Kindern. Alena hielt die Kleinen sicher im Sattel, und sobald sie groß genug waren, klammerten sie sich an die Rücken ihrer Ponys und jagten über die Felder. Sie wuchsen in Freiheit auf, mit Liebe und dem Wissen und Respekt gegenüber den Menschen, die ihnen das Leben ermöglichten, das sie hatten. Sie gingen mit, wenn Alena die Felder begutachtete, wenn sie mithalf, Hütten zu verbessern und Kranke zu besuchen. Sie spielten im Arbeitszimmer, wenn sie mit Vinzek die Finanzen und Probleme besprach.

Eines von ihnen würde eines Tages den Hof übernehmen, das war Vinzek klar. Und sie würden wissen, was wichtig ist. Sie würden Ehrlichkeit und Respekt kennen und es würde ihnen hoffentlich ein wenig bei ihrer Arbeit helfen.
 

Der kleine Matej dagegen würde König werden und er hatte bereits jetzt die besten Lehrer: Kamil und Vitek.
 

Dass der König und seine Frau immer wieder versuchten, ihn zu sich zu holen, war Filip und Alena einerlei. Sie hatten sich von Anfang an geschworen, dass alle ihre Kinder die Welt außerhalb des königlichen Hofes kennenlernen sollten, egal was seine Eltern dazu sagen würden. Gelegentliche Besuche sprachen jedoch nicht gegen dieses Prinzip.
 

Wäre es anders gelaufen, wäre es schlechter gelaufen, das Königspaar hätte mit Gewalt dafür gesorgt, dass ihr Erbe bei ihnen aufwachsen würde. Doch die Jahre hatten zu einer kleinen, widerwilligen Einsicht geführt.

Alena war eine gute Ehefrau für Filip.

Filip war ein verantwortungsbewusster Prinz.

Ihre Untertanen liebten die beiden.

Und die Meinung ihrer Untertanen machte ihnen doch etwas aus. Ein klein wenig.
 

So kam es, dass sie sich zwar immer wieder beschwerten, aber sich bemühten, es nicht zu übertreiben. Denn wer wusste schon, wann sie dann das nächste Mal von ihren Enkelkindern besucht werden würden?

Ihre Blutlinie war gerettet und das war alles, was zählte. Dass sie inzwischen Spaß daran hatte mit den Kleinen im Schloss Fangen zu spielen und sie im Arm zu halten, musste ja niemand wissen.
 

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„Aschenbrödel? Bist du das?“
 

Alena seufzte innerlich und wartete schweigend, bis die Tür geöffnet wurde.
 

„Sag doch, dass du es bist.“
 

„Aber ich bin es nicht, wieso sollte ich die Frage also bejahen?“
 

Markèta warf ihr einen entrüsteten Blick zu, doch Alena ignorierte ihn. Sie hatten dieses Gespräch bereits zu häufig geführt, doch eher würde sie sterben als ihrer Stiefmutter die Genugtuung zu geben, sie wieder als Aschenbrödel betiteln zu können.
 

Vorsichtig streifte sie ihre Stiefel vor dem Eingang ab, bevor sie das kleine Zimmer betrat, in welchem Markèta inzwischen wohnte. Ihr Blick fiel auf die verwelkten Blumen am Fenster und sie nahm sich vor, das nächste Mal etwas Frisches und Buntes mitzubringen. Markèta hatte kein Talent dafür es sich selbst gemütlich zu machen, aber Alena wollte diesen deprimierenden Ausblick nicht bei ihren Besuchen ertragen müssen.
 

Sie stellte ihren Korb mit frischem Gemüse und Brot auf die Anrichte neben dem Ofen und setzte sich unaufgefordert an den kleinen, wackeligen Tisch. Markèta hatte ihr den Rücken zugewandt und hantierte mit dem Wasserkessel über dem Feuer. Zumindest hatte sie das Wasser diesmal rechtzeitig für den Besuch erhitzt. Ein kleiner Fortschritt nach über zwanzig Jahren Gefängnis und eigenständigem Arbeiten.
 

Zumindest Dora hatte mehr Lernbereitschaft gezeigt und hütete die Gänse inzwischen, ohne dass sie verloren gingen. Und sie hatte kochen gelernt. Nicht zuletzt dank ihrem Mann, der als Gehilfe in der Küche arbeitete und ihr mit viel Geduld gezeigt hatte, wie sie einfache Gerichte kochen konnte.
 

„Dass du aber auch immer wie ein Mann rumrennen musst. Hast du nicht Angst, dass dich jemand verwechselt? Oder, dass Filip dich für eine richtige Frau verlässt?“
 

„Nach über zwanzig Jahren Ehe, drei Kindern und der Tatsache, dass er mich in Männerkleidung kennengelernt hat? Ich denke eher nicht.“
 

Markèta wendete sich vorsichtig mit dem Kessel um und schenkte ihnen ein.

Nachdem sie diesen wieder abgesetzt hatte, ließ sie sich ebenfalls auf einem Stuhl nieder und blickte Alena scharf an.
 

„Du wirst dich meiner Worte noch erinnern!“
 

„Auf deine Worte gebe ich seit Langem nichts mehr. Aber das solltest du inzwischen wissen.“
 

Es gab kaum ein besseres Gefühl der Genugtuung als zu sehen, wie ihre Gleichgültigkeit Markèta reizte.
 

„Warum bist du dann hier? Und warum setzt du dich ungefragt?“
 

Als ob sie nicht seit fünfzehn Jahren regelmäßig zu Besuch kam und als ob sie nicht genauso lang dieselben Gespräche führten.
 

„Dora hat das erste Mal Brot gebacken und für dich mitgegeben. Zudem ist unsere Rübenernte dieses Jahr sehr gut ausgefallen und ich wollte dich ein wenig teilhaben lassen.“
 

Ein Rümpfen der Nase war alles, was Markètas Dankbarkeit ausdrückte und schweigend tranken sie ihren Tee.
 

Dora durfte ihre Mutter nur einmal in einem halben Jahr sehen und häufig genug ließ sie den Zeitpunkt verstreichen. Alena vermutete, dass sie nicht an all das erinnert werden wollte, was sie verloren hatte. Dass sie sich nicht dem Urteil ihrer Mutter aussetzen wollte. Und dass sie nicht wollte, dass sie ihr einfaches Glück mit Worten zerstörte oder sie daran erinnerte, was hätte sein können. Aber sie sprachen kaum miteinander und wenn, war es distanziert und emotionslos. Auch das Brot hatte Alena nur über Doras Mann erhalten, der für Dora mit seiner einfachen Art wie ein sicherer Hafen war. Keine Intrigen und keine Lügen, keine Erpressung und kein Risiko.
 

Nach ein paar Minuten des Schweigens stand Alena auf und holte eine Kerze aus dem mitgebrachten Korb. Am Feuer entzündete sie diese und stellte sie auf den Tisch zwischen sie. Markèta hatte die Hände bereits gefaltet und die Augen geschlossen. Alena setzt sich wieder und tat dasselbe. Erst schweigend, dann öffnete sie die Lippen.
 

„Vor fünfunddreißig Jahren ist er von uns gegangen und hat seine Liebe mit ins Grab genommen. Heute gedenken wir meinem Vater gemeinsam, trotz all unserer Wut aufeinander. Heute gedenken wir dem Mann, der unserem Schicksal einen Ruck gegeben hat. Dessen Tod der Auslöser war für Jahre voller Lügen und Hass und Schmerz. Heute hoffen wir, dass seine Seele beruhigt ist, wenn sie auf uns hinab blickt. Dass er ohne Kummer und Sorgen ist, sondern voller Liebe und Freude.“
 

Alena öffnete die Augen, die Hände weiter gefaltet und ihr Blick fiel auf die Frau gegenüber. Eine alte Frau mit weißen Haaren und einem ausgezerrten Gesicht. Was ihr Vater sich wohl dabei gedacht hatte diese Frau zu wählen? Er musste etwas in ihr gesehen haben. Etwas, von dem er gehofft hatte, dass es ihm, seiner Familie und seinem Hof gut tun würde. Etwas, das nie in Erscheinung getreten war.
 

Aber wer wusste schon, wozu all das gut gewesen war? Wäre es ohne sie so weit gekommen? Oder hätten Alena und Filip sich auch ihren ihren Einfluss kennen und lieben gelernt? Wäre der Hof auch ohne sie reich und voll mit glücklicheren Menschen? Und war diese eine Liebe das Leid all so vieler Menschen wert?
 

Es waren dieselben Fragen, die sich Alena seit Jahren stellte. Fragen, auf die sie nie eine Antwort erhalten würde. Und vielleicht der Grund, warum sie immer wieder herkam und sich der Bitterkeit dieser alten Frau stellte. Zusammen mit der Genugtuung diese mit ihrem eigenen Glück zu konfrontieren. Ein Glück, welches Markèta zehn Jahre lang versucht hatte zu verhindern.
 

Dafür war sie nun seit fünfundzwanzig Jahren eine Gefangene und Alena verspürte keinen Funken Mitleid. Das sparte sie sich lieber für Menschen auf, die es verdient hatten.
 

Markèta öffnete die Augen und sah Alena mit einem Blick an, welchen diese nicht deuten konnte. Oder wollte. Mit einem Seufzen trank sie den Rest Tee aus und stand auf.
 

„Danke für den Tee. Die Kerze kannst du behalten.“
 

Und ohne sich noch einmal umzudrehen oder eine Antwort abzuwarten, verließ sie das Zimmer. Und damit auch die Kälte, den Hass, die Erinnerungen.
 

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Zurück im Hof des Schlosses schien ihr die Sonne ins Gesicht und ließ sie einen Moment innehalten und die Augen schließen, die Wärme genießen.
 

Kinderhände an ihren Hosenbeinen ließen sie aufsehen. Oder herab sehen zu Mila, ihrem ersten Enkelkind. Zu denken, dass sie selbst eine Großmutter war!
 

Eine Großmutter und Königin!
 

„Was gibt es, Mila? Vor wem läufst du davon?“
 

Alena sah sich um. Wo waren die Spielgefährten der kleinen Prinzessin?
 

„Opa!“
 

Mila deutete mit einem ihrer kleinen Finger auf die nächstgelegene Ecke, um die im nächsten Moment schon ein panischer König stürzte, den Blick wild umher schweifend.
 

„Mila!“
 

Seufzend blieb er vor den beiden stehen, stemmte die Fäuste in die Seiten und sah mit zusammengekniffenen Augen sein Enkelkind an: „Du kleiner Teufelsbraten! So einfach kommst du nicht um dein Bad herum!“
 

Und bevor Mila noch protestieren konnte, war sie auch schon in seinen Armen. Wo sie sich aber ganz wohl fühlte, so wie es aussah. Ohne weiteren Widerstand hängte sie sich mit ihrem vollen Gewicht an seinen Hals, das Gesicht an seine Brust gepresst.
 

Filip schob sie ein wenig zur Seite, um sie mit dem rechten Arm zu halten.
 

„Ich dachte, das hätten wir hinter uns. Ich dachte, Lenja wäre schlimm gewesen, als sie angefangen hat zu laufen, aber mit Mila hätte auch sie nicht mithalten können.“
 

„Selbst schuld, wenn du dich freiwillig meldest, meldest beim Baden zu helfen.“
 

Alena lachte, als sie ein frustrierter Blick traf. Doch schnell wurde dieser wieder sanft und fragend.

Sie nickte und zuckte mit den Schultern: „Keine Veränderung in fünfundzwanzig Jahren. Vielleicht etwas grauer und eingefallener. Und sie hat den Tee vorbereitet!“
 

„Pass auf“, lachte Filip, „noch einmal fünfundzwanzig Jahre und sie sagt das erste Mal ‘Bitte’ oder ‘Danke’.“
 

„Aber nur eines von beidem!“
 

Wieder lachten sie und Alena spürte, wie der letzte Rest Bitterkeit aus ihr verschwand, der doch immer wieder da war, wenn sie ihre Stiefmutter besuchte. Und doch konnte sie es nicht lassen. Als ob es eine Niederlage wäre.
 

Filips Arm legte sich um ihre Schulter und zog sie an ihn heran. Als wären sie nicht draußen, vor ihren Wachen und anderen Angestellten des Hofes. Als wären sie unter sich.
 

„Zumindest wissen wir, wie wichtig Veränderung ist. Sie wird in Einsamkeit und Frust sterben, wenn wir uns noch lange an unserem Leben erfreuen werden.“
 

„Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirklich sterblich ist. Sie würde sogar den Tod vertreiben mit ihrer Art.“
 

„Das sollen die beiden unter sich ausmachen. Wir werden in der Zwischenzeit leben und lieben.“
 

„So philosophisch heute, Eure Majestät?“
 

Statt einer Antwort küsste er sie auf die Stirn und drückte sie noch etwas fester an sich heran.
 

Ein paar lange Momente standen sie so, schweigend, in Umarmung und das Leben um sich herum betrachtend.
 

Bis Alena die Stille doch brach: „Eines hast du vergessen, Liebster. Auch das Baden kleiner Kinder gehört dazu. Egal wie sehr ihr euch beide sträubt.“
 

Mit einem lauten, klingenden Lachen folgte sie Filip in die Gemächer. Den Anblick würde sie sich nicht entgehen lassen.“
 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  AnniinaAgricola
2019-08-12T19:12:12+00:00 12.08.2019 21:12
Eine herrliche Geschichte und ein herrliches, wunderbares Ende!😍😍😁
Antwort von:  Morathi
14.08.2019 19:54
Vielen Dank, das freut mich sehr! :D


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